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Kultur: 100 000 Inhaftierte

"War Hitler schwul?", titelte die Bild-Zeitung vor einigen Wochen anlässlich eines kürzlich erschienenen Buches des Bremer Historikers Lothar Machtan.

"War Hitler schwul?", titelte die Bild-Zeitung vor einigen Wochen anlässlich eines kürzlich erschienenen Buches des Bremer Historikers Lothar Machtan. Die latenten homoerotischen Tendenzen in der Nazi-Bewegung kommen in Rob Epsteins und Jeffrey Friedmans "Paragraph 175" jedoch nur am Rande vor. Ihr Film geht den geraden Weg, er widmet sich der Erinnerung an all die Menschen, die der Unterdrückung von Homosexualität im Dritten Reich zum Opfer fielen. Der Paragraph 175, der die "Unzucht zwischen Männern" unter Strafe stellte und jahrzehntelang als Synonym für die rechtliche Verfolgung der Homosexualität galt, war schon seit Ende des 18. Jahrhunderts im preußischen Recht verankert. Die Nazis aber waren die ersten, die ihn mit brutaler Konsequenz anwendeten. 1935 wurde er durch Ergänzungen wesentlich verschärft.

Etwa 100 000 - meist männliche - Homosexuelle wurden zwischen 1933 und 1945 in Deutschland inhaftiert, weibliche Homosexualität dagegen weitgehend ignoriert. Etwa 15 000 Schwule kamen in KZs, wo sie Opfer von Umerziehungsmaßnahmen, Kastrationen und Menschen-Versuchen wurden. Fünf Männer und eine Frau der damals Überlebenden waren bereit, vor der Kamera über ihr Leben zu berichten: der Elsässer, dessen Freund im Lager von Schäferhunden zerrissen wurde. Der Bürgerssohn, der zur Armee ging, um endlich unter Männern zu sein. Die junge Frau, der Unbekannte ein Ticket nach England zusteckten.

Die Regisseure, die eng mit dem Historiker Klaus Müller zusammengearbeitet haben, verknüpfen diese Berichte mit anderen dokumentarischen Materialien zu einem Breitwand-Zeitbild. "Paragraph 175" ist dabei, wie auch schon Epstein/Friedmans letzter gemeinsamer Film "The Celluloid Closet", populäres Dokumentarkino im amerikanischen Stil: menschlich anrührend, handwerklich perfekt, ästhetisch suggestiv, politisch immer korrekt, doch intellektuell nie erregend. Auch inhaltlich ist der Film ganz auf ein amerikanisches Publikum zugeschnitten, das mit Reichstagsbrand und Bücherverbrennung erst vertraut gemacht werden muss. Nachhilfe kann nie schaden. Hierzulande dürften die Wissenslücken aber eher auf der Nachkriegsgeschichte liegen. Schade, dass diese Epoche nur als Fußnote vorkommt. Trotzdem: Allein als filmisches Denkmal für die Opfer ist dies ein wichtiger Film.

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