zum Hauptinhalt

Kultur: 11. Kleist-Festtage: Ein Heinrich macht noch keinen Sommer

"Heinrich lebt - so steht es auf dem Programm der 11. Kleist-Festtage.

"Heinrich lebt - so steht es auf dem Programm der 11. Kleist-Festtage. Die Behauptung klingt in Frankfurt an der Oder, in dem jede Kulturaktivität verzweifelt werbend mit dem Namen Heinrich von Kleists beheftet wird, wie das Pfeifen im Walde. Seit ihrer Gründung nach der Wende haben die Festtage unter geringer Resonanz zu leiden. Um der Konkurrenz der herbstlichen Festival- und Premierenschwemme im Berlin-Brandenburgischen Raum zu entgehen, hat man sie vor zwei Jahren vom Oktober in den Juli verlegt. Geholfen hat das nichts.

Das Kleist-Forum, einer dieser überdimensionierten Glaspaläste für Messe und Veranstaltungen, der auch in der Grenzstadt zu Polen mit Geldern der Europäischen Union erbaut wurde, nachdem man das alte Stadttheater nebst Ensemble weggespart hatte, war gesichtsloser Hauptveranstaltungsort. Hier hinein verschwanden die Teilnehmer des internationalen Kleist-Kolloquiums "Kleist und die Musik". Vernetzung und Austausch fanden nicht statt.

Wegen des Mottos "Heinrich lebt" handelten die beiden Uraufführungen der Festtage natürlich vom Freitod Kleists. "Tod am Wannsee" durfte allerdings nur als Inszenierung "nach dem Text von Henning Boetius" bezeichnet werden, weil sich Autor und Theaterkünstler nicht einig wurden. Es ist eine Best-of-Kleist-Collage aus Theaterszenen und theoretischen Texten, in denen es um die Frage nach der Wahrnehmbarkeit der Wirklichkeit, um das Gefühl eines Ungenügens an der Welt und um das Streben nach Unbedingtheit des Gefühls geht. Ein Erzähler treibt die Geschichte kommentierend voran, während zwei Schauspielerinnen Kleist und Henriette Vogel geben, wie sie sich im November 1811 am Wannsee auf ihren gemeinsamen Freitod vorbereiten. Jedes Gefühl, jede Haltung wird hier ganz schlicht durch Szenen oder Sätze des Dichters erklärt: das Werk als Material für eine biografische Nacherzählung.

Dieser platten Idee sucht die Inszenierung aufzuhelfen, indem sie einen Pantomimen, der mit flatternden Seelenvogel-Händen schrecklich vernutzte Empfindungsgesten zeigt, und einen Performer auftreten lässt. Letzterer schöpft auf einer Videowand, auf der, für Spiel und Wahrnehmung folgenlos, die Schauspieler in Abfilmung ihrer Bühnenpräsenz erscheinen, am Wannsee Wasser in Kanister füllend. Zugleich leert er live auf der Bühne diese Kanister wieder in eine Wanne. Dazu wandelt tatsächlich ein Geiger mit Totenkopf-Maske umher ...

Für den "Countdown Kleist" der Münsteraner Künstlergruppe Ohrpilot konnte man sich auf grünen Matten inmitten einer Lautsprecher-Landschaft lagern, um sich in Kleists Empfindungen bei seinem Selbstmord einzufühlen. Es geht um die Zeitspanne zwischen dem Krümmen des Zeigefingers am Abzug der Pistole und dem Einsetzen des Todes. "Countdown Kleist" ist in doppeltem Sinne eine reine Kopfgeschichte. Sie bleibt ohne sonderlichen ästhetischen Reiz und ohne wirklichen Erkenntnisgewinn: eine 50minütige Spielerei in gefühlten anderthalb Stunden Aufführungsdauer.

Den Kleist-Förderpreis für junge Dramatik erhielt die bisher mit Stücken für ein jugendliches Publikum hervorgetretene, 1977 in Neubrandenburg geborene und in Berlin lebende Katharina Schlender. In ihrem Stück "Trutz" sucht ein junger Mann mit aller Gewalt nach seinem Ort im Leben. Da die Stadt Frankfurt die mit dem Preis verbundene Uraufführungsgarantie nicht mehr selbst einlösen kann, soll "Trutz" an den Vereinigten Bühnen Krefeld-Mönchengladbach uraufgeführt werden.

Das im letzten Jahr ausgezeichnete Stück "A. ist eine andere" vom Autorenduo Andreas Sauter und Bernhard Studlar (die wie Katharina Schlender und fast alle bisherigen Preisträger an der Berliner Hochschule der Künste "Szenisches Schreiben" studierten) war aus dem gleichen Grund in Chemnitz uraufgeführt worden. Die Inszenierung gastierte im Rahmen der diesjährigen Festtage.

Ob die Frankfurter Kleist-Festtage nach all den kulturpolitischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre noch eine Zukunft haben, wird sich wohl im nächsten Jahr erweisen müssen. In diesem Jahr werden noch bis zum 15. Juli Bühnen aus Hamburg, Rostock und Chemnitz mit Inszenierungen Kleistscher Stücke gastieren.

Hartmut Krug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false