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60. Jubiläum: Von Trizonesien nach Europa

Schwarz-Rot-Gold: Seit 1949 tut die Bundesrepublik Deutschland sich schwer mit nationalen Symbolen. Umso besser!

Von Caroline Fetscher

Wären wir doch Verfassungspatrioten! Alle, ausnahmslos alle Redner aller Parteien im Parlament – dessen Domizil paradoxerweise wieder „Reichstag“ heißt – haben am vergangenen Donnerstag das Grundgesetz der Bundesrepublik als einen Glücksfall gepriesen, als einen politischen Segen, ein solides Fundament. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – der erste Satz von Artikel eins, das sei die einzige Antwort auf Auschwitz. Recht haben sie. Gäbe es ein Symbol, ein Zeichen, ein Kunstwerk, das sich als Repräsentation des Grundgesetzes etabliert hätte, dieses Land hätte es leichter. Vielleicht.

Jedenfalls können weder mit dem heraldisch-kriegerischen Bundesadler noch mit dem pompösen Kanzleramt, weder mit deutschen Münzen und Geldscheinen, mit Fahnen, Flaggen, Hymnen, der Germania, dem Eichenlaub, dem Michel oder dem Brandenburger Tor hierzulande Staatsbürger mobilisiert werden – außer von den Demagogen am rechten Rand. Da wirken Abwrackprämie und gebührenfreie Kita weitaus zugkräftiger.

Unsere nationalen Symbole sind nicht cool. Sie sind zäh, mühsam, sie wirken herbeigezwungen. Keines dieser Symbole steht für den Mut der Umwälzung wie die „Marseillaise“ der Franzosen, oder für eine alte Tradition des demokratischen Partizipierens wie Großbritanniens Parlamentsbau an der Themse, oder für den antikolonialen Befreiungskampf wie die Liberty Bell in Pennsylvania und die Freiheitsstatue in New York. Konstrukte sind sie allesamt, die Nationalsymbole, betrachtet man sie mit der immensen Klarheit etwa von Habermas’ „Postnationaler Konstellation“. Dennoch sähen viele „urdeutsche“ Passhalter des – gelinde gesagt – welthistorisch extrem problematischen Landes gern das ein oder andere Signifikat des sozialen Aufbruchs im nationalen Repertoire. Anstelle eines Symbolfundus, der oft anrüchig, missbraucht und verdächtig wirkt, woran auch das Nationalfahnenschwenken nach nationalen Fußballtorschüssen wenig ändert. SchwarzRot-Gold, so glorios die Herkunft unserer „Trikolore“ auch sein mag, evoziert bei kaum einem denkenden Zeitgenossen einen Überschuss an Zuneigung. Ob Schwarz eine Farbe ist, bleibt übrigens ohnehin umstritten.

Mit dem Blick des kritischen Analytikers entdeckte Elias Canetti im romantisierten „Deutschen Wald“ das prototypische Nationalsymbol des Landes. Mit diesem, einst viel besungenen deutschen Wald können unsere Zeitgenossen wenig anfangen, zumal sie „Natur“ vor allem beim temporären Ausbruch aus ihren Großstadtwohnsilos bei All-Inclusive-Urlauben auf Kreta oder Bali erfahren.

Was sollte man machen, nach 1945, nach 1949? Wo eine Nation ist, da müssen Nationalsymbole her. Über das Maß des Nationalen reichten die Staatskonzepte nicht hinaus; bis heute, trotz der neuen Vision von Europa am Horizont, tun sich die Länder der Europäischen Union schwer, das jeweils Eigene in Solidarität und Parität aufgehen zu lassen.

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland begann nicht allein mit einer Legitimitationskrise. Unser Land entstand aus einem Zivilisationsbruch, der jede bis dahin vorstellbare traumatische Dimension sprengte. In den Jahren vor 1949 hatte das Land, dessen Rechtsnachfolge die Republik antrat, in Trümmern gelegen. Ikonisch wurden Bilder nach dem Zweiten Weltkrieg, die befreite Lager mit den sichtbaren Spuren präzedenzloser Gräueltaten zeigten, geschleifte Nationalsymbole – wie das zertrümmerte Hakenkreuz auf dem Nürnberger Parteitagsgelände – und Ruinenstädte, in denen Orientierungslose auf der Suche nach Heizkohle oder Brot umherirrten.

Alle national aufgeladenen Symbole, Flagge, Hymnen, die Währung, die Bauten des Regimes, waren nach der totalen Kapitulation über Nacht total entwert. So gigantisch war die Schuld, die Akteure und Mitläufer des mörderischen NS-Regimes auf sich geladen hatten, dass es wie ein Wunder erschien, als die Alliierten die Bewohner des von ihnen regierten Territoriums überhaupt dann doch wieder in die Eigenstaatlichkeit entließen.

Mindestens so groß war das „Wirtschaftswunder“, Resultat des European Recovery Program der Vereinigten Staaten, das Milliarden an Finanzhilfe enthielt, um Deutschland mittels Marshallplan zu sanieren. Dass diese unfassliche Großzügigkeit zeitweise weniger bekannt war als der nur kurz existierende Morgenthau-Plan, der Deutschland aus Sicherheitserwägungen in einen Agrarstaat umwandeln wollte, verdankt sich der Mischung aus Schuld, Scham, Verdrängung und Aggression, mit der die Bevölkerung ihren Befreiern begegnete.

„Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ hieß der Schlager, der Ende 1948 auf dem ersten Kölner Nachkriegskarneval gespielt wurde und zum Hit avancierte. „Die alten Zeiten sind vorbei / Ob man da lacht, ob man da weint, die Welt geht weiter, eins, zwei, drei“ schmetterten nicht nur die Narren, und behaupteten von sich: „Ein Trizonesier hat Humor/ Er hat Kultur, er hat auch Geist /Darin macht keiner ihm was vor.“ Auf das Land von Goethe und Beethoven, die meistzitierten bürgerlichen Kulturheroen, war man „stolz“, schloss der präpotente Song. Da dem besetzten Land eine Nationalhymne fehlte, avancierte das Lied bisweilen zur Ersatz-Hymne, etwa bei Sportveranstaltungen wie den Radrenn-Meisterschaften 1949 in Köln.

Mit hochgradigem sozialpsychologischem Geschick hatten sich die Westmächte unter den Alliierten, zumal die USA vorgenommen, die Bevölkerung keine Rachsucht oder Herablassung spüren zu lassen. Im Glauben an die Re-Education, die Lernfähigkeit aller, auch der Deutschen, verließen sich die Amerikaner auf Experten wie den New Yorker Psychiater Richard Brickner, Berater des State Department bei den Planungen für Nachkriegsdeutschland. Brickners Bestseller „Is Germany Incurable?“ ( J. B. Lippincott Company, New York 1943) war von der Vorstellung ausgegangen, dass ein paranoider Patient – NS-Deutschland – nur kuriert werden könne, solange ihm die Ärzte – die Besatzer – suggerieren, dass er seine Heilung aus eigner Kraft leistet. Bei der Heilung selber sollte man sich auf die gesunden Anteile stützen und diese ausbauen. Im Fall Deutschland lokalisierte man diese gesunden Anteile bei den Frauen und Männern des Widerstands, ökonomisch setzte man auf intakte Elemente der Privatwirtschaft. Entnazifizierung, Entkartellisierung, Entmilitarisierung und Demokratisierung waren die alliierten Bausteine des Wandels – politische Juwelen. So überantwortete man dem Westen Deutschlands einen unabhängigen, souveränen Nationalstaat. Seine großenteils enorm erfolgreichen Geburtshelfer waren und bleiben, was gern vergessen und in Schulbüchern kleingeschrieben wird, die West-Alliierten, allen voran die USA.

Nach der Bonner Republik, die – ganz richtig – vom bescheidenen Wasserwerk aus regiert wurde, ließ sich die Berliner Republik der Wendejahre ein demokratisches Dach aufsetzen. Der Brite Sir Norman Foster beschenkte uns mit einer begehbaren, gläsernen Kuppel über dem Parlament, die Transparenz und Partizipation signalisiert und in den Nachrichten gern als Hintergrundsymbol für Politikerinterviews genutzt wird. Die in der Kuppel wandelnden Schulklassen, Bürger, Touristen sind, das jedenfalls wäre die Hoffnung, unterwegs nach Europa.

United States of Europe: Dieses Projekt steht jetzt auf der Agenda der Zeitgenossen. Mit Nationalsymbolen, geben wir es zu – und geben wir es auf – werden wir nach der Schoah nie wieder glückreich. Gebraucht werden vielmehr Symbole, die über die Provinz des Nationalen hinausweisen, und Deutschland sollte in Brüssel die Initiative ergreifen, Symbole und Zeichensysteme für das „Konzept Europa“ zu suchen. In der zweiten, dritten Generation nach der Barbarei, sehnen wir uns zu Recht nach einem postnationalen Europa.

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