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Literatur als Therapie. Adolf Muschg

© Stephanie Pilick/dpa

80. Geburtstag von Adolf Muschg: Gut sublimiert

Zum 80. Geburtstag von Adolf Muschg.

Bekenntnisse zu Europa und dessen widerspenstigem helvetischen Kernland sind von Adolf Muschg jederzeit zu erwarten, ob beim mitternächtlichen Kamingespräch im Hotel „Waldhaus“ in Sils Maria oder bei einem „Apéro“ auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse. Zur Diskussion zum Thema „Mythos Schweiz“ hatte der deutsche Schriftsteller Thor Kunkel („Endstufe“), der nun auf einer Walliser Alm lebt, einen selbst gepflückten Kräutertee mitgebracht. Der knapp 80-jährige Adolf Muschg hingegen kam unverschuldet zu spät – und lieferte prompt die erfrischendsten Ansichten.

Es ist ein Wunder, dass der am 11. Mai 1934 in Zollikon geborene Friedrich Adolf Muschg seine Rolle als Nestor der schweizerischen Identitätsdebatte immer noch nicht anödet, etwa wenn er sich über die opportunistische „Swissness“ äußert: „Qualität bedeutet Qualität – die Marke Schweiz läuft auf eine Tautologie hinaus, und da sie sich gut verkauft, scheint das auch niemanden mehr zu stören.“ Bereits der Fünfjährige musste 1939 als „kleiner Vaterlandsverteidiger“ in Aktion treten. Er entstammt einem rigoros pietistischen Elternhaus. Der Halbbruder Walter Muschg aus der ersten Ehe des Vaters war ein renommierter Literaturhistoriker. Mutter Frieda, eine Krankenschwester, neigte zur Schwermut.

Als Adolf Muschg zur Welt kam, war sein Vater, ein Primarlehrer und Autor religiöser Erbauungsliteratur, schon über 60. Robert Walser verballhornte ihn 1927 als „Muschkatnuss“, denn der Lehrer hatte ihm „Laschheit in Glaubensfragen“ vorgeworfen. Diese Anekdote findet sich in Manfred Dierks erhellender Biografie „Adolf Muschg: Lebensrettende Phantasie“. Sie ist wie Muschgs Aufsatzsammlung „Im Erlebensfall. Versuche und Reden 2002–2013“ kürzlich bei C. H. Beck erschienen.

In dem lutherischen „Das Wort sie sollen lassen stahn!“, in der Überbewertung des Schriftlichen, sieht Dierks den Schlüssel für eine quälende Schreibhemmung seines Freundes. Ihr rang Muschg ab 1965 Bücher wie „Im Sommer des Hasen“, „Das Licht und der Schlüssel“, das Parzival-Epos „Der Rote Ritter“ oder seinen wohl bedeutendsten Roman „Albissers Grund“ (1974) ab. Die Frankfurter Poetikvorlesungen von 1981 kreisen paradigmatisch um „Literatur als Therapie. Ein Exkurs über das Heilsame und Unheilbare“. Darin beschreibt er die Literatur als Sublimierung des „Lebensmangels“.

Mitunter scheint der Literaturwissenschaftler Muschg, der von Göttingen über die USA bis zur ETH Zürich eine glänzende akademische Karriere absolvierte, dem Romancier und dessen artistischen Assoziationen im Wege zu stehen. Gabriele Wohmann attestierte dem Japanliebhaber, wie kein anderer die eigene Subjektivität niedergeschrieben zu haben. Auf seine 2005 im Dissens beendete Amtszeit als Präsident der Berliner Akademie der Künste blickt Adolf Muschg inzwischen mit leichter Ironie zurück. Auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung feiert er am heutigen Dienstag in Berlin seinen 80. Geburtstag.

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