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Kultur: 8000 Hüften

Eine

von Rüdiger Schaper

Eine Stadt wird zur Leinwand, die Bildschirme werden zu Segeln, gespannt vor Emotion. Man fühlt sich in Berlin wie in einer Stadt am Meer. Es ist ja überhaupt erst Vorrunde, über die Qualität der WM als Droge wird noch zu reden sein. Sie wirkt aber schon bewusstseinserweiternd, im Spreebogen zum Beispiel. Neben der Turnschuh-Arena mit dem Olympiastadion aus Planen und Planken sieht die offizielle Hauptstadtarchitektur plötzlich genauso aus: ephemer. Kanzleramt und Parlamentsbauten, wie von irgendeinem Sponsor in die Landschaft gestellt, erwecken den Eindruck, als würden auch sie nach dem 9. Juli wieder abgebaut. Wie dünn, wie provisorisch sind diese Säulen und Dachkonstruktionen der Bundes-Hallen! Reichstag und Brandenburger Tor dagegen vertragen die Kostümierung wunderbar; es ist etwas von der Stimmung wiedergekehrt, wie sie einst zu Christos verhüllten Sommertagen herrschte.

Jetzt läuft der Ball entlang der alten Achse Reichstag – Tipi – Kongresshalle. Nicht dass man Sehnsucht bekäme nach der West-Berliner Topografie. Doch was sich am Montagabend um das Haus der Kulturen der Welt abspielte, war erhebend und verwirrend schön. Der erste Triumph der Brasilianer bei der WM 2006! Ihr Kulturminister, der legendäre Musiker Gilberto Gil, gab ein Zusatzkonzert, nachdem er schon zwei Wochen zuvor das Haus der Kulturen in gewaltige Schwingung versetzt hatte. 8000 Fans, (darunter unzählbare „Ronaldinhos“) tanzten dort, wo sonst die Wasser dümpeln vor dem Gebäude mit dem Bananenflankendach, das auch von Oscar Niemeyer stammen könnte. Die Brasilianer, wie siegessicher müssen sie sein, bezahlten alles. Gil mit der AfroReggae-Band, mit den Sängerinnen Margareth Menezes, Daniela Mercury und Sandra de Sá erinnerte an die Zeit, als nebenan noch das Tempodrom stehen durfte und die „Heimatklänge“ dort zu Hause waren.

Auch Häuser können wandern, an Ort und Stelle: Bald wird das Haus der Kulturen der Welt geschlossen wegen allfälliger Renovierung, und zur Wiedereröffnung im Sommer 2007 müsste man die Energie eines Gilberto Gil über die Zeit retten. Denn selten war das Haus der Kulturen der Welt so bei sich, so offen wie ein leeres Tor, so überfüllt und angenommen und Teil seiner Umgebung.

Lisboa! Luanda! Bahia! rief Gil mit dem Hüftschwung eines Voodoo-Zauberers in den Abendhimmel, aus dem weiter hinten ein Regierungshubschrauber herabstieß. Berlin ist nicht Bahia, und Hertha wird auch nie Benfica sein. Aber man möchte sie festhalten, diese Augenblicke, in denen eine Stadt sich gleichsam losmacht aus ihrer Vertäuung, in denen man an Portugals Nationaldichter Pessoa denkt und seine „Maritime Ode“. Weltkultur fuhr einst auf Schiffen. Und die moderne Welt begann, als sie Kugelgestalt annahm.

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