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Kultur: Ab in die Wolfsschlucht

Große Oper, große Leinwand: Jens Neubert inszeniert Webers „Freischütz“

Die Frage muss sein: Was soll die Verfilmung einer Oper, die zum ehernen Bestand des Stadttheaterrepertoires gehört? Wer Webers „Freischütz“ sehen will, braucht nur ins nächste Opernhaus zu gehen. Und mit etwas Glück bekommt er dort nicht nur die Geschichte von Max und Agathe vorgesetzt, sondern auch das, was dieses Stück erst richtig spannend macht: Die Abgründe deutscher Volksseele zwischen Gottvertrauen und Lebensangst, Waldromantik und Resignation. Oder auch den schwarzen Humor und Scherenschnitt-Expressionismus, mit denen einst Bob Wilson seine Adaption „The Black Rider“ aufpeppte – zwischen Wolfsschlucht und Jägerchor ist eine Menge Platz für Fantasie.

Vielleicht ist das Hauptproblem von Jens Neuberts Verfilmung, dass sie gerade davon zuwenig hat: Zwar verlegt der ehemalige Ruth-Berghaus-Assistent die Geschichte plausibel aus den böhmischen Wäldern des 17. Jahrhunderts in das Sachsen der napoleonischen Kriege, doch nimmt er ihr auch alles Geheimnisvolle. Die Computeranimationen, die hier das mitternächtliche Freikugelgießen in der Wolfsschlucht illustrieren, dürften nicht mal Sechsjährige zum Gruseln bringen. Die Chance, im Aufruhr der Höllenwesen kollektive Urängste hochkochen zu lassen, wird glatt vertan.

Im Grunde setzt Neubert das Jägerdrama in Szene, als habe er sein Drehbuch in einer alten Defa-Schublade gefunden: In allen Details sieht man, wie sich die Bauern placken, während Erbförsterstöchterchen Agathe einem Luxusleben frönt. Wie Soldatenleiber verwesen, während Deutschlands Fürsten ihre Staaten auf der großen Landkarte neu zuschneiden. Und der weise Eremit, der den glücklichen Opernschluss herbeiführen soll, mutiert hier zum Rädelsführer einer Dreschflegel schwingenden Bauernrotte. Da dürfte es nicht mehr lange dauern, bis nach dem Bösewicht Kaspar auch ein paar Hoheiten in die Wolfsschlucht gestürzt werden.

Farbenfroh und opulent ist dieser fünf Millionen Euro teure „Freischütz“-Bilderbogen, aber in seinem postsozialistischen Realismus doch etwas banal. Was vermutlich weniger aufgefallen wäre, wenn Neubert seine Vorlage gestrafft hätte. Dass hier wirklich jede Nummer – einschließlich nachkomponierter Kamellen wie Ännchens „Einst träumte meiner sel’gen Base“ – dabei sein muss, zieht den Film in die Länge. Schade, denn das Kernproblem jedes Opernfilms, lange Solonummern mit Handlung zu beleben, kriegt Neubert gut in den Griff: Mit Close-Ups, mit Szenenwechseln, die die musikalische Gliederung der Arien respektieren, oder auch mithilfe von leitmotivisch verwendeten Requisiten.

Die Sängerdarsteller, allesamt vom Opernfach, kommen überraschend gut zurecht: Juliane Banse ist als Agathe ein etwas spätes Mädchen, Michael Volle macht aus dem bösen Kaspar einen Desperado, der viel sympathischer ist als Agathes dumpfer Bräutigam Max. Gesanglich gibt's mit Stars wie René Pape und Franz Grundheber in Nebenrollen hier eh nichts zu meckern. Ob dieser „Freischütz“ am Ende dafür wirbt, lieber ins nächste Opernhaus zu gehen? Damit hätte er auch einen guten Zweck erfüllt.

Adria, Cinemaxx, Delphi, International, Kulturbrauerei

Jörg Königsdorf

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