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Kultur: Abbau auf chinesisch

Wie der Markt immer mehr Einfluss nimmt: Die Dokumentarfilmfestivals in Duisburg und Leipzig

Keine Torte, sondern so genannte Zeitbomben hat sich die Duisburger Filmwoche zu ihrem 30. Geburtstag geschenkt. Gemeint waren damit Geburtstagsgrüße in schriftlicher oder filmischer Form, die Festivalleiter Werner Ruÿiÿka sich vorher von Freunden des Festivals erbeten hatte. Das Format war vorgegeben: Dreißig Minuten Zeit sollte man der Filmwoche widmen unter Angabe von Ort und Zeit der Verfertigung. Denn, so heißt es in der Broschüre, die die zahlreich eingegangenen Antwortbomben festhält, „Zeit ist mehr als Geld“.

Das ist fast schon eine programmatische Vorgabe in einer Welt, in der es als Zeitgewinn gilt, eine Reise um fünf Minuten zu verkürzen. Zeitbomben legen wollte das Duisburger Team um Ruÿiÿka aber auch in einem anderen Sinn. Denn selbst wenn es die Illusion der frühen Jahre nicht mehr gibt, mit Filmen direkt ins Weltgeschehen eingreifen zu können, so gibt es doch weiter hin die Hoffnung auf explosive filmische Aktionen. Schließlich ist die Filmwoche seit ihrer Gründung ein Ort, an dem versucht wird, Filme in die soziale Verantwortung zu nehmen und sie ausführlich zu debattieren.

Der Mode angepasst haben sich in der Zwischenzeit die Parameter der Beurteilung. Die gefürchteten „Hinrichtungen“, von denen Andres Veiel in seinem Zeitbomben-Beitrag spricht, sind strenger Milde gewichen. Geblieben aber ist die Konzentration auf wenige wesentliche Filme (in diesem Jahr 26) und ihre dauerhafte Präsenz im kollektiven Raum. Während es in den mittlerweile üblichen Publikumsgesprächen sonst nur darum geht, Filme durch die Anwesenheit ihrer Produzenten einen Mehrwert an Authentizität zu verleihen, werden sie hier ernsthaft und kompetent auf ihren ästhetischen Eigensinn abgeklopft.

Doch die Dokfilm-Welt unterliegt derzeit starken Veränderungen. Gleich von zwei Seiten wird sie in die ökonomische Zange genommen. Auf der einen Seite ist der Kunstmarkt, der zunehmend dokumentarische Formen integriert und dabei zum Teil rasante Gewinne macht. Die Verheerungen, die das künstlerisch und persönlich auslöst, ließen sich in Duisburg in dem neuen Film der in der Kunstwelt hoch gehandelten Ursula Biemann studieren, „Black Sea Files“. Dieser ist ein arrogant ambitioniertes und inhaltsleeres Stück über die Geopolitik der Schwarzmeerregion und verkauft schlampige Recherche als Medienkritik.

Auf der anderen Seite ist der Dokumentarfilm selbst ein Wirtschaftsfaktor geworden. Denn auf den internationalen Fernsehmärkten lässt sich viel Geld verdienen. Symptomatisch dafür ist das Leipziger Dokumentarfilmfestival, das inzwischen so sehr auf die Kraft des Marktes setzt, dass das Publikum dieses Jahr bei der Preisverleihung nicht nur einen Werbetrailer des Sponsors Discovery-Channel erdulden musste, sondern auch eine Ansprache des Discovery- Vertreters.

In Leipzig setzt man auf die Breite des Angebots und lockt die Branche mit Koproduktionstreffen und so genannten Doc-Summits. Richtig stolz war man auf den neuen, digitalisierten „Filmmarkt“, der es erlaubte, sich aus der Fülle des Angebots von der Festplatte aus ein Programm zusammenzustellen. Das ist der ultimative Gegenentwurf zum gemeinsam genießenden und räsonierenden Duisburger Kollektiv: Der potentielle Filmkäufer sitzt mit dem Kopfhörer in der Kabine, scannt das Programm nach Sparten ab und mailt seinen Kommentar danach direkt an den Produzenten.

Trotzdem sind sich Duisburger und Leipziger Filmfestival in den letzten Jahren immer stärker ins Gehege gekommen. Während Leipzig vor allem internationale Produktionen vorstellt, ist die von Arte und 3Sat mitgeförderte Duisburger Filmwoche dem „deutschsprachigen Dokumentarfilm“ gewidmet. Das ist dann auch mal ein italienischsprachiger Film aus Österreich, wie der diesjährige Arte-Preisträger „Il Palazzo“ von Katharina Copony. Seit drei Jahren jedoch gibt es in Leipzig auch einen deutschen Wettbewerb, der Duisburg Konkurrenz macht, und dieses Jahr ist das Leipziger Festival der Filmwoche gar zeitlich so nahe gerückt, dass das wie eine Kriegserklärung wirkt.

Dabei könnten sich beide Festivals wegen ihres unterschiedlichen Konzepts theoretisch gut ergänzen. Vermutlich wäre der Preisträgerfilm des Leipziger Deutschen Wettbewerbs, Lars Barthels „Mein Tod ist nicht dein Tod“, in Duisburger garstig zerrupft worden wegen seiner ästhetischen Doppelmoral. Die (zwei Mal verliehene) internationale Goldene Taube ging an Filme, die sich ganz wörtlich an den Ort des Todes begeben, auf der Bedeutungsebene aber umso lebendigere Welten evozieren: Heddy Honigmans „Forever“ schaut bei ihrem Bummel über den Pariser Friedhof Père Lachaise in die Welt der bürgerlichen Kunst, ohne ins Bildungsbürgerliche abzugleiten. In „The Cemetery Club“ von Tali Shemesh trifft sich eine Gruppe betagter Israelis regelmäßig auf dem Nationalfriedhof, um beim Picknick philosophische und kulturelle Fragen zu diskutieren. Viel nüchterner und doch gar nicht kalt bearbeitet Karin Jurschicks Kurzfilm „Nicht mehr“ den Tod des eigenen Vaters. Während Bestatter und Wohnungsauflöser ihr professionelles Werk verrichtet, verabschiedet sich auch die Tochter mit ihrem Handwerkszeug: mit ihrer Kamera. Ein ohne jede Förderung realisierter sehr persönlicher Film.

Etwas befremdlich ist, dass einer der großen dokumentarischen Glücksfälle dieses Jahres beim Preisregen unberücksichtigt blieb. Ein Glücksfall ist „Losers & Winners“ deswegen, weil die Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken das seltene Glück hatten, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Es geht um die Demontage der Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund, die bei ihrer Errichtung 1992 die modernste ihrer Zeit war. Acht Jahre später gilt sie als nicht mehr rentabel, wird stillgelegt und dann an eine chinesische Demontagefirma verkauft. Diese sendet vierhundert Arbeitskräfte nach Dortmund, um das Werk zu zerlegen und später in China wieder aufzubauen.

Drehgenehmigungen waren erstaunlicherweise von beiden Seiten problemlos zu bekommen, vollkommene Bewegungsfreiheit eingeschlossen. So konnten sich Franke und Loeken fast zwei Jahre regelmäßig auf dem Werksgelände herumtreiben und beobachteten, wie die letzten übriggebliebenen deutschen Facharbeiter ihre Abwicklung begleiten und auf diesem verlorenem Posten tapfer die Würde deutschen Facharbeitertums verteidigen. Ein großartiges Stück politisch dokumentarisches Erzählkino, das die gegenwärtigen Bedingungen globaler Arbeitsteilung in ungewohnte regionale Perspektive rückt und viele Fragen aufwirft.

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