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Kultur: Abgetaucht

Sylke Enders’ „Kokon“ im Heimathafen Neukölln

Für die junge Frau mit der kalten Aura liegt der Fall klar: „Er wollte sterben. Und ich hab’ ihm geholfen.“ Für die Justiz sieht die Lage komplizierter aus, die kennt das Wort „Sterbehilfe“ nicht, nur den Straftatbestand der Tötung auf Verlangen. Die 30-jährige Krankenschwester Wilma Aust hat einen Patienten getötet. Nur das ist Fakt im Stück „Kokon“ der Filmemacherin Sylke Enders, das sie in eigener Regie im Studio des Heimathafens Neukölln zur Uraufführung gebracht hat. Ein Kammerspiel in der ethischen Grauzone, ein Drama mit Brisanzversprechen. Das Thema Sterbehilfe berührt ja die existenziellsten Fragen – wo endet das Recht auf Selbstbestimmung, wo beginnt die Pflicht des Staates, das Leben zu schützen? Die Patientenverfügung allein klärt das nicht. Es bleibt die Angst vieler Menschen, eines Tages nicht mehr Herr der eigenen Sinne und Entscheidungen zu sein.

Einen solchen Fall nimmt sich auch Enders als Ausgangspunkt ihres Stückes. Der Patient, dem Wilma Aust die todbringende Spritze setzte, war vollständig gelähmt, konnte nur noch per Augenzwinkern kommunizieren – was an Jean-Dominique Baubys Buch „Schmetterling und Taucherglocke“ erinnert, auf das auch angespielt wird. Die wortkargen Erzählungen der Krankenschwester über den Zustand des Mannes lassen kaum Zweifel daran, dass der Tod für ihn Erlösung bedeutete. Doch Wilma – die Katrin Hansmeier über zwei Stunden mit kaum nuancierter Schroffheit geben muss – verweigert die Erklärungen für ihre Tat, darf sich aber im Recht wähnen. Wenn schon nicht vor Justitia, so doch vor der Moral. Kann es so einfach sein?

Sylke Enders ist vor allem mit dem Film „Kroko“ bekannt geworden. Der erzählte von einem Mädchen aus dem Wedding, das zu Sozialstunden in einer Einrichtung für Behinderte verurteilt wird. Ein unsentimentales Drama, sehr zu Herzen gehend. Auf der Bühne aber fehlt Enders das Gespür für Zwischentöne. Gerade im Privaten. Sie gesellt der Angeklagten einen Anwalt zu (Axel Schrick), der sich bald, na klar, in die kühle Blonde verliebt. Reflexionen über den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl sollen der Geschichte genauso Tiefe verleihen wie Exkurse über die Stoiker. Zitatreich wird auf Puccinis „Madame Butterfly“ abgehoben – weil Wilmas Tante Opernsängerin war. Und weil es für Pathos-Momente in einer Erzählung sorgt, die mit ihrem Leitmotiv nicht umzugehen weiß. Patrick Wildermann

Wieder 20.-23., 26.-28.10., 20.30 Uhr

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