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Kultur: Abstrakte Akte

Moderner Maghreb: Das Ethnologische Museum Berlin zeigt „Junge Künstler aus Marokko“

So hat man Frauen noch nie gesehen: als Farbflächen aus leuchtenden Orange-, Rot- und Goldtönen, die in ein Meer von Indigoblau getaucht sind. Mouad Yebari gelingt es, mit wenigen Akzenten die Illusion biomorpher Körperformen zu erzeugen. Dennoch würde kein westlicher Betrachter in den Großformaten abstrakte Aktdarstellungen vermuten. Doch der marokkanische Maler versichert, dass sein Werk allein dem schönen Geschlecht gewidmet sei. Auf diese zugleich intelligente und subtile Weise macht er Sinnlichkeit zum Thema – trotz des Verbots im Islam, menschliche Körper abzubilden. Bei allem Respekt vor der Tradition sind diese Bilder von entschiedener Modernität.

Dass die Versöhnung beider Momente möglich ist, legt die Ausstellung im Ethnologischen Museum Dahlem nahe. Das Timing der Schau „Junge Künstler aus Marokko“ könnte kaum besser sein. Seit den Terroranschlägen des 11. September ist die Frage, ob der moslemische Kulturkreis trotz mangelnder Aufklärung und fehlender Trennung von Religion und Staat Anschluss an die säkulare Moderne finden kann, ein Lieblingssujet der Feuilletons. Die sechs beteiligten Künstler antworten darauf mit entschiedenem Ja.

Gelebten Glauben mit avancierten ästhetischen Strategien auszudrücken, bildet für sie keinen Widerspruch. Adil Rabih etwa nutzt serielle Motive, um die Musik des mystischen Sufi-Ordens zu visualisieren. Bei der Wahl der Bildsprache gebe es keine Beschränkungen, betont auch Youmes el Kharraz, der rein abstrakte Farbfeldmalerei zeigt: „Marokkanische Künstler sind frei. Es gibt keine Zensur.“

In der Tat gilt Marokko als das toleranteste und weltoffenste Land des Maghreb. Seit der Thronbesteigung Mohameds VI. 1999 hat sich das öffentliche Klima stark liberalisiert. Im Vergleich zu den Nachbarstaaten genießt die Presse de jure weit reichende Freiheiten. Doch die Regierung kann immer noch Druck ausüben. Beispielsweise ist die im Staatsbesitz befindliche Industrie gehalten, keine Anzeigen in regimekritischen Zeitungen zu schalten, um sie in die Knie zu zwingen.

Derartige Einflussnahme sei in den bildenden Künsten unbekannt, beteuern alle Künstler. Eher behindere sie die Enge des heimischen Markts: Kunst werde von den Medien kaum zur Kenntnis genommen. „Außer Diplomaten und Angehörigen der kleinen Oberschicht kauft niemand zeitgenössische Arbeiten“, klagt Safaa Erruas. Dabei könnte die Konzeptkunst der erst 27-Jährigen sehr wohl auf dem Weltmarkt bestehen: Ihre stets in Weiß gehaltenen Installationen aus Watte, Gaze und Baumwolle wirken wie eine poetische Spielart der arte povera.

Erruas wurde in Tetuan geboren und hat die dortige Kunstakademie besucht – neben der von Casablanca die einzige des Landes. Das verbindet sie mit ihren Künstlerkollegen: Vier unter ihnen haben in Tetuan studiert, drei leben und arbeiten im Künstlerdorf Assilah, einer Art marokkanischem Worpswede. Einer gemeinsamen Kunstschule lassen sie sich aber nicht zuordnen: Jede vorgestellte Position erweist sich als volkommen eigenständig. Dem Besucher drängt sich der Eindruck auf, dass die Ausdifferenzierung individueller Sichtweisen auch in der arabischen Welt unaufhaltsam voranschreitet. Am markantesten vielleicht bei Mohamed Anzaoui: Seine bunt schillernden Riesenleinwände sind ganz der Schaulust auf Oberflächenreize verpflichtet – moslemische Malerei für das 21. Jahrhundert.

Ethnologisches Museum, Lansstr. 8, bis 31. Mai. Di – Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr.

Oliver Heilwagen

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