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Kultur: Ach, Loreley

Bernhard Schulz über den Geschwindigkeitsrausch der Bahn Stets war es ein Erlebnis, von Köln kommend im Zug nach Frankfurt auf der linken Fahrtseite zu sitzen und das Rheintal zu verfolgen. Höhepunkt jeder romantischen Stimmung – oder wohl doch eher: Lektüreerinnerung – war es, in einer sich anbahnenden Linkskurve den Loreley-Felsen auszumachen, ihn vom gegenüber liegenden Ufer aus sachte zu umrunden und schließlich hinter weiteren Hängen entschwinden zu sehen.

Bernhard Schulz über

den Geschwindigkeitsrausch der Bahn

Stets war es ein Erlebnis, von Köln kommend im Zug nach Frankfurt auf der linken Fahrtseite zu sitzen und das Rheintal zu verfolgen. Höhepunkt jeder romantischen Stimmung – oder wohl doch eher: Lektüreerinnerung – war es, in einer sich anbahnenden Linkskurve den Loreley-Felsen auszumachen, ihn vom gegenüber liegenden Ufer aus sachte zu umrunden und schließlich hinter weiteren Hängen entschwinden zu sehen.

Das Vergnügen ist, zumindest für ICE-Benutzer, bald nur noch Erinnerung. Die Bahn feierte gestern ihre Jungfernfahrt auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen den beiden westdeutschen Städten, nicht länger dem gewundenen Lauf des deutschesten aller Ströme folgend, sondern praktisch und prosaisch der Autobahn. Mit (Maximal-)Tempo 300 sollen die Bahnkunden von hier nach dort gejagt werden, statt 222 überwiegend flussläufiger nur mehr 177 Kilometer autobahndiktierter Strecke berührend. Die „Loreley“ findet allenfalls noch in Buchform statt. Sogar beim Lesen heißt es sich sputen, verkürzt sich doch die Reisezeit von zweieinviertel Stunden auf 76 Minuten.

Das ist nicht ganz so geschwind wie die von der Bahn jahrelang versprochenen 59 Minuten, aber immerhin doch – so der neueste Slogan – eine „geschenkte Stunde“. Was tun mit der gewonnenen Zeit? Mehr shoppen in den Hauptbahnhöfen von Frankfurt oder Köln? Oder schneller zum von allen neuen Zügen angesteuerten Frankfurter Flughafen – was indessen gleichfalls mehr shoppen heißt, arbeiten doch die Flughäfen weltweit an der profitablen Verlängerung der Verweildauer ihrer Passagiere?

Nicht wenige Reisende werden sich nach der guten, alten Rheintalstrecke zurücksehnen. Mag sie auch eher ein nationaler lieu de mémoire sein, ein Erinnerungsbild romantischer Seligkeit – sie ist doch, aller Flussbegradigung und Zersiedelung zum Trotz, immer noch schön. Kürzlich erst wurde ihr Rang durch die Aufnahme in die Liste des Unesco-Welterbes bestätigt. Zum Welterbe mögen Bahngleise, wie sie die Ufer des felsgebändigten Rheines säumen, nicht recht passen. Doch über sie werden künftig weniger Züge rollen. Und sie werden langsamer fahren – noch langsamer als die zweieinviertel Stunden, die die Bahn-AG mit der Eröffnung ihrer Superstrecke zum Schreckbild des Altmodischen stempelt. Mit Blick auf die Loreley wird der von nun an freiwillige Rhein-Reisende vergnügt bedenken, wofür er eine Stunde Zeit geschenkt haben wollte.

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