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Kultur: Ach, Ruhrgebiet!

Fotos von Jitka Hanzlová in der Galerie Kicken

Mit 25 kam Jitka Hanzlová aus der Tschechoslowakei nach Deutschland. 15 Jahre sollte es dauern, bis sie 1998 ihr neues Wohnumfeld, Essen und das Ruhrgebiet, fotografisch unter die Lupe nahm. Davor lagen das Studium an der Gesamthochschule Essen, die ermutigende Auszeichnung mit dem Otto-Steinert-Preis und 1997 das Wiedersehen mit ihrem Heimatort Nachod. Die Serie „Hier“ sollte die Antwort auf Nachod sein. Aber ist sie es wirklich geworden, oder vielleicht nur eine überraschende Ergänzung?

An der 26 Arbeiten umfassenden Auswahl von Kicken (je 4000 Euro) fällt auf, dass die Emigrantin die Arbeit an dem Zyklus zehn Jahre ruhen ließ, bevor sie damit 2007 fortfuhr. Erlahmte zeitweilig ihr Interesse an der doch mittlerweile vertrauten Umwelt? Tatsächlich hat sie von Anfang an alles „Typische“ des Ruhrgebiets gemieden: die Zeche Zollverein, den letzten qualmenden Hochofen, die pompöse Villa Hügel, die stolze Aalto-Oper, das neu erstandene Folkwang-Museum. Stattdessen suchte und fand die Fotografin das Unscheinbare: ein Fenster, dessen heruntergelassenes Rollo von Zweigen überwachsen ist, eine Fichte mitten in einem Wohnhof, ein verlassenes Karussell auf einem Spielplatz, vergilbte, vom Wind plattgedrückte Grasbüschel und zwischen diesen Aspekten einer mäandernden Stadtlandschaft sechs junge Leute, einige fast noch Kinder, denen sie kein Lächeln entlocken wollte. Man muss sich selbst immer wieder daran erinnern, dass diese Tristesse nicht irgendwo in Osteuropa aufgenommen wurde, sondern im Ruhrgebiet, wo zwar früher viel Reichtum abfloss, in den Katen und Wohnblöcken jedoch harte Arbeit das Leben bestimmte. Die Tschechin hat im Ähnlichen Ersatz für die aufgegebene Heimat gefunden. Auch hier erlauben die Verhältnisse, scheint ihre Fotografie zu besagen, keine großen Ausblicke in die Illusionen des Fortschritts.

Je länger man die Arbeiten betrachtet, umso stärker spürt man aus den wie zufällig ins Auge gefassten Sujets einen zivilisatorischen Schmerz aufsteigen; sei es im Bild einer Kuh, die unter einer Autobahnbrücke ohne Gras weiden muss, oder eines schütteren Birkenwäldchens, das von einer öden Betonmauer durchtrennt wird. Immer wieder vertreiben starke Farbkontraste den Anschein der Beschaulichkeit und mobilisieren die Aufmerksamkeit. So kann nahezu jedes Bild als ein Zeichen verstanden werden und wirkt doch nie gekünstelt. Hans-Jörg Rother

Galerie Kicken Berlin, Linienstr. 155; bis 5.6., Di–Sa 14–18 Uhr.

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