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Kultur: Adolf Dresen: Verschlossene Welten

Ehe die Arbeit beginnen kann, muss der Text gelesen werden. Allerdings so, dass alles, was man über ihn weiß und zu wissen glaubt, vollständig vergessen wird.

Ehe die Arbeit beginnen kann, muss der Text gelesen werden. Allerdings so, dass alles, was man über ihn weiß und zu wissen glaubt, vollständig vergessen wird. Adolf Dresen hielt diese stets neue, "unschuldige" Begegnung mit dem schwarz auf weiß Überlieferten für den wichtigsten und schwierigsten Teil der Arbeit des Theaterregisseurs. Er wollte besonders den großen klassischen Texten die bequeme Bekanntheit nehmen, nicht, indem er sie änderte, sich über sie erhob, sie sich zurechtmachte, sondern indem er sie, so genau und zuverlässig wie möglich, erst einmal kennen lernte. Dresens Inszenierungen waren Erkundungsreisen in oft verschlossene Welten.

Wenn er, wie 1968 am Deutschen Theater Berlin, Goethes "Faust" mit Fred Düren in der Titelrolle inszenierte, dann kam da nicht ein fortschrittsgläubiger Gelehrter auf die Bühne, sondern ein mit Skepsis, Wissen, Erfahrung beladener, in die Jahre gekommener, völlig illusionsloser Mensch. Einer, der an Weltverbesserung und billigen Erfolg nicht mehr glaubt. Kein Wunder, dass die Reaktion auf diese gemeinsam mit Wolfgang Heinz erarbeitete Inszenierung in der DDR sehr heftig war. Ein Held, nein: der Held der deutschen Klassik als ein mürrisch Raunzender, Gelangweilter, Verzweifelter? Der alte Kommunist Heinz und wenige Vernünftige schützten Dresen vor schlimmen Folgen. Ein paar Jahre vorher war in Greifswald eine Shakespeare-Inszenierung des jungen Theatermachers ohne Umschweife verboten worden. Dresen hatte "Hamlet" als ein Stück über das Versagen von Vernunft inszeniert.

Adolf Dresen, am 31. März 1935 in Eggesin geboren, hat es im Staat des real existierenden Sozialismus nie leicht gehabt. Bei Hans Mayer in Leipzig studierte er Germanistik. Über die Studentenbühne und Engagements in Magdeburg und Greifswald kam Dresen 1964 ans Deutsche Theater. In wenigen Jahren wurde er einer der führenden Regisseure des Hauses, mit Aufführungen, die immer wieder an Grenzen gingen, die Gefährdung des Individuums anzeigten und die gefährliche Macht von Konvention und Ideologie. Besonders das große Kleist-Projekt, "Prinz Friedrich von Homburg" und "Der zerbrochne Krug" an einem Abend, dann "Michael Kohlhaas" in eigener Fassung, stellten das erstarrte Kleist-Bild der DDR vom Kopf auf die Füße.

Das Verstehen eines Stücks, schrieb Adolf Dresen, gründet sich auf die Freude, die man daran hat. Freude gönnte man ihm in der mehr und mehr verkrustenden DDR nicht. Dresen ging weg, arbeitete in Basel, in Bochum, am Wiener Burgtheater und 1981-86 als Schauspieldirektor in Frankfurt am Main. Der radfahrende Regisseur wurde früh zur Legende und blieb einem eitlen Kunstbetrieb völlig unzugehörig. Jedes Mal aufs neue versuchte er, alte Stücke auf seine Weise zu lesen. Zuletzt arbeitete er vor allem für die Oper. Theaterarbeit im besten Sinn hat Dresen aber auch auf einem anderen Gebiet geleistet - als hochgebildeter Essayist und Redner. Über die Aufgaben der Kunst, die Krise der Kultur, über die Zerwürfnisse zwischen dem Geistigen und Politischen hatte er Erhellendes mitzuteilen, mit leiser Ironie; er hatte sich seinem "Faust" von 1968 sehr angenähert. Am Mittwoch ist Adolf Dresen, erst 66 Jahre alt, in Leipzig gestorben.

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