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Adoptivsprache Deutsch: Wie wir unsere Worte lieben lernen können

Mit dem Sprachenlernen ist es wie mit dem Kinderkriegen. Irgendwie ist nie der richtige Zeitpunkt, aber schön wäre es doch. Und wenn man dann damit anfängt (mit den Sprachen und den Kindern), ist es manchmal mühsamer, als man gedacht hatte.

Das Sprachenlernen wird nach Abnutzung der ersten Motivation meist abgebrochen, Kinder dagegen behält man. Die Volkswirtschaft braucht beides: Kinder und Fremdsprachen-Kundige. In der Familien- und Bildungspolitik wird daher an finanziellen und strukturellen Anreizen gebastelt: Kitagutscheine, Erziehungsgeld, Steuervorteile hier, Weiterbildungsgutscheine, Bildungsurlaub und wieder Steuervorteile dort. Durchschlagende Erfolge lassen auf sich warten, Deutschland ist in beiden Disziplinen weit von einer Zwei vorm Komma entfernt (mit 1,35 Kindern und 1,2 Fremdsprachen pro Nase).

Zwar lässt sich die Motivation durch ökonomische Anreize (wie Karrierechancen) steigern, aber die Deutschen kommen noch lange nicht auf die europäisch gewünschte Formel „Muttersprache plus zwei Fremdsprachen für alle“. Wer „humankapitalistisch“ denkt, für den reichen Kenntnisse im Englischen aus. Nicht anders halten es die anderen Europäer.

Der Schriftsteller Amin Maalouf hat daher den Begriff der „persönlichen Adoptivsprache“ für die zweite Fremdsprache geprägt (neben Englisch als internationaler Verkehrssprache). Maalouf war 2008 Vorsitzender einer Expertengruppe bei der Europäischen Kommission zum interkulturellen Dialog. Als „Adoptivsprache“ sollte die weitere Fremdsprache aus Liebe zu einer anderen Kultur gewählt werden, sie könnte emotional den Status einer zweiten „Muttersprache“ erlangen. Dieses Konzept mag elitäre Züge haben, falsch ist es deshalb nicht. Mit keiner anderen Metapher als der der Familie könnte die Sache besser auf den Punkt gebracht werden: Auch Elterngeld und Co. können die Entscheidung für ein Kind erleichtern, mit der eigentlichen Motivation zur Familiengründung haben diese Maßnahmen nichts zu tun. Genauso ist es mit den Fremdsprachen jenseits des Englischen. Wer lernt schon Italienisch, weil es der Karriere dienlich ist? Nur mit der Liebe zum Land, seiner Kultur und wunderschönen Sprache sind die Mühen des Sprachenlernens zu ertragen.

Nun soll der Rest der Welt wieder das Deutsche lernen, diese „Sprache der Ideen“. Auch diese Initiative ist nicht falsch, nur laufen die ökonomischen Argumente für das Erlernen der deutschen Sprache ins Leere. Mit der Verkehrssprache Englisch lässt sich in Deutschland prima leben, studieren und arbeiten.

Und wie ist es mit dem Deutschen als geliebte Adoptivsprache? Dafür werben wir bis heute nicht gerne. Das hat historische Gründe: Anlässlich der an mich ergangenen Bitte, nicht länger mit linguistischem Trotz die Abkürzung SS zu gebrauchen (ich wisse schon, warum), wurde mir die Schwierigkeit, als Deutscher das Deutsche zu lieben, wieder bewusst. Ich weiß, welche menschenverachtenden Ideen in dieser Sprache gedacht und ausgeführt wurden, aber muss ich deshalb für das Sommersemester jedes Jahr eine umständlichere Abkürzung wählen als fürs Wintersemester? Ich schreibe jetzt immer brav SoSe. Bei meiner Liebe zum deutschen Wort „Pimpf“ aber bleibe ich unbeugsam: Der Einsilber mit dem kleinsten aller Vokale und dazu diese Aufgeblähtheit mit der vielen Luft in den Konsonanten – schöner kann ein Pimpf nicht bezeichnet werden. Soll ich mir dieses wunderbare Wort verbieten, weil es die historische Last des Nationalsozialismus trägt?

Unsere Sprache leidet nicht nur an einer posttraumatischen Belastungsstörung, eine handfeste Bindungsstörung kommt hinzu. Schnell ergeht der Vorwurf des Nationalismus, wenn man in einer Diskussion über neue Studienordnungen nachfragt, ob das Deutsche noch als Wissenschaftssprache (neben dem Englischen) ein kleines Plätzchen bekommen könnte. Seit dem neuen Zuwanderungsgesetz von 2005 wird immerhin die Bedeutung der deutschen Sprache für die Integration betont, Integrationskurse wurden eingerichtet. Die Tatsache aber, dass die Dozenten dieser Kurse trotz Hochschulabschluss oft jämmerlich schlecht verdienen, zeigt wieder, wie problematisch unser Verhältnis zur deutschen Sprache ist. Auch die Broschüre des Auswärtigen Amtes zum aktuellen „Jahr der deutschen Sprache“ wirbt für das eigene Idiom, aber mit dem Argument, die Mühen des Deutschlernens würden sich in erster Linie finanziell auszahlen. Psychologen würden eine Therapie empfehlen.

Genau hierzu sollte das Jahr der deutschen Sprache genutzt werden: zur Selbstreflexion über das Verhältnis zur eigenen Sprache. Zwar werden die hiesigen Muttersprachler das Deutsche in absehbarer Zeit kaum so lieben, wie Franzosen, Italiener oder Katalanen es mit ihren Sprachen tun. Vermutlich ist das auch besser so. Aber eine Einsicht in die Vorteile einer gemeinsamen Sprache, in der man sich noch treffen kann, während die Gesellschaft auseinanderzudriften droht, wäre ein schönes Ergebnis. Und es wäre eine gute Werbung für Deutsch als persönliche Adoptiv-Fremdsprache.

Bindungsstörungen plagen ja oft genau die Kinder, die woanders ein zweites Zuhause suchen und trotz ihrer Probleme geliebt werden wollen. Die deutsche Sprache ist das Adoptivkind par excellence.

Die Autorin lehrt romanistische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Brigitte Jostes

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