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Jan Assmann

© dpa

Ägyptologie: Die Entdeckung der Erinnerung

Der Wissenschaftler Jan Assmann entwickelte eine Methode zur Untersuchung der Erinnerungskultur. Über 30 Jahre lang forschte er in Ägypten. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag.

Wer sein Fach, die Ägyptologie, für ein Orchideenfach hält, der sollte sich Jan Assmann als Gärtner von Orchideenfeldern vorstellen, die sich über die Weiten der Geschichte erstrecken bis zum Horizont der Transzendenz. Jan Assmann hat Ägypten einen festen Platz in der europäischen Geistesgeschichte (zurück-)gegeben – auch wenn man bei ihm vielleicht eher von Gedächtnis- als von Geistesgeschichte sprechen sollte, ebenso wie bei den Arbeiten seiner Frau, der Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann.

Das Forscherpaar entwickelte eine neue, auf Maurice Halbwachs und Aby Warburg basierende Methode ihrer Disziplinen: die Untersuchung des kulturellen Gedächtnisses. Dabei können gegensätzliche Interpretationen der überlieferten Fakten nebeneinander bestehen – relevant ist für den Gedächtnishistoriker vor allem, was und wie erinnert wird. Das ergänzt die positivistische Analyse der Fakten.

Jan Assmann, 1938 in Langelsheim geboren, wuchs in Lübeck auf, wo der Vierjährige die Zerstörung der Altstadt erlebte. Als Jugendlicher komponierte er Kantaten, Sonaten und sogar eine Oper, noch heute hat die Hausmusik einen festen Platz im Hause Assmann. Zunächst studierte er klassische Archäologie und Gräzistik in München, Göttingen, Heidelberg und Paris, zu seinen Lehrern zählten Georges Posener und Eberhard Otto. Dessen Heidelberger Lehrstuhl übernahm er 1976 und blieb dort bis 2003.

Das gemachte Gedächtnis

In über 30 Jahren archäologischer Feldarbeit leitete Assmann die Ausgrabungsarbeiten bei 15 Beamtengräbern in Ägypten, wobei er sich bereits in seinen Studien zur Entwicklung der Literarizität in Steininschriften als Fachmann mit kulturwissenschaftlicher Perspektive ausgewiesen hatte. Ende der Siebziger gründeten die Assmanns den Arbeitskreis "Archäologie der literarischen Kommunikation“.

Im polyfonen Dialog und im Duo mit seiner Frau entwickelte Jan Assmann eine Theorie des kulturellen Gedächtnisses, dessen auf Nietzsche zurückgehende Hauptidee die des "gemachten Gedächtnisses“ ist: Das Historische muss immer als Konstruktion einer Epoche analysiert werden. So mischte er sich im Jahr 2000 mit Gewinn in die Buber-Walser-Debatte ein und argumentierte anhand seiner Kenntnisse der Erinnerungsrituale.

In der Monografie "Moses der Ägypter“ (1998) lieferte Assmann ein spannendes Kapitel der Konstruktionen des Ägyptenbildes. Von der Spätantike bis Sigmund Freud war Ägypten das Kennwort für eine häretische Renaissance von "ägyptischer Weisheit“. In vielen dieser Strömungen spielte Moses als Überbringer einer ägyptischen Geheimlehre eine Rolle. Die Theologie dieser Lehren subsumierte Assmann als "kosmotheistisch“: Die Göttlichkeit des Kosmos schimmert hinter den vielen Göttergestalten hindurch.

Dass einige den Monotheismus noch heute für die alleinige Grundlage der abendländischen Kultur halten, bekam Assmann zu spüren, als ein Kritiker ihm Antisemitismus vorwarf. In "Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus“ (2003) präzisierte er daraufhin seine These, dass der Monotheismus um den Preis der religiösen Feindschaft in die Welt gekommen sei, und verteidigt sich gegen all jene, die in seinem Engagement für ägyptische Theologie ein Plädoyer für einen neo-polytheistischen Humanismus vermuten.

Und ein großer Wurf, beseelt durch seine lebenslange Musikliebe, ist sein Buch "Die Zauberflöte – Oper oder Mysterium“ (2005), das Mozarts Oper als öffentliches Ritual der ägyptophilen Freimaurerkulte interpretiert. Heute feiert Jan Assmann, Honorarprofessor für Religionswissenschaft an der Universität Konstanz, im Kreise seiner fünfköpfigen Kinderschar seinen 70. Geburtstag.

Marius Meller

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