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Kultur: Afghanistans Zukunft: Sie brauchen Nerven

Das ist nach wie vor die oberste Devise der US-Regierung: Nerven behalten. Denn die Situation in Afghanistan wird täglich unübersichtlicher.

Das ist nach wie vor die oberste Devise der US-Regierung: Nerven behalten. Denn die Situation in Afghanistan wird täglich unübersichtlicher. Osama bin Laden hält sich immer noch versteckt, in der Grenzregion zu Pakistan herrschen weiter die radikalislamischen Taliban, das militärische Ziel der "Operation dauerhafte Freiheit" ist zweifellos nähergerückt, es befindet sich aber nicht in Reichweite. Politisch wiederum ist die Lage explosiv. Die oppositionelle Nordallianz - ein untereinander zerstrittenes Bündnis, das sich aus Tadschiken, Usbeken und Hazaras zusammensetzt, die zusammen kaum ein Drittel der afghanischen Gesamtbevölkerung repräsentieren - scheint sich in der Hauptstadt Kabul festgesetzt zu haben. Und an der humanitären Front tut sich erschreckend wenig. Die dringend benötigte Hilfe, etwa 50 000 Tonnen Lebensmittel müssten nach UN-Angaben monatlich geliefert werden, lässt auf sich warten.

Bin Laden bleibt das Ziel

Was tun? Das Problem hat drei Aspekte, die unterschiedlich gelöst werden müssen. Die Last des militärischen Erfolges lastet überwiegend auf den Schultern der USA. Wenn es nicht gelingt, Osama bin Laden und wesentliche Teile seines Terrornetzwerkes "Al Qaida" auszuschalten, wird das Gesamtunternehmen, trotz aller politisch positiven Nebeneffekte des Krieges, als Fehlschlag gewertet werden müssen.

Amerika wollte nicht ein Land wegen seiner tyrannischen Herrscher bombardieren, sondern die Gefahren des Terrorismus verringern. Daran misst sich die Operation. Auch das Ende der Taliban-Herrschaft ist nur Mittel zum Zweck. Dessen ist man sich im Weißen Haus und Pentagon bewusst. So sehr sich die Fragen der Politik und Humanität zur Zeit in den Vordergrund drängen und so erfreulich die Bilder befreiter Menschen sind: Der Fokus bleibt auf die mutmaßlichen Urheber des 11. September gerichtet.

Größere Wellen freilich schlägt in der Aufmerksamkeit derzeit die Politik. Was kommt nach den Taliban? Lässt sich das Knäuel aus verfeindeten Milizen, rivalisierenden Stämmen und massiver äußerer Einflussnahme - von Pakistan über Russland, bis Iran und Indien - entwirren? Die Rückkehr des ehemaligen Präsidenten Burhanuddin Rabbani nach Kabul war kein gutes Signal. Dessen letzter Versuch, das Land zu regieren, endete 1992 in einem Bürgerkrieg. Die Sorge, dass es diesmal ohne internationale Oberaufsicht wieder zu Eruptionen kommt, ist begründet. Zusätzliche Verwirrung stifteten offizielle Meldungen aus Russland, nach denen zwölf russische Beamte unter Leitung von Sonderbotschafter Orlow begonnen hätten, der Nordallianz bei der Bildung einer Koalitionsregierung zu helfen.

Sicher ist nur eins: Die Zeit drängt. Die normative Kraft des Faktischen ist bereits spürbar. Ein erster Erfolg der politischen Bemühungen ist deshalb das Zugeständnis der Nordallianz, an einer internationalen Konferenz teilzunehmen, die in Deutschland, Österreich oder der Schweiz stattfinden könnte. Die Zusicherung wurde der Nordallianz abgetrotzt. Entsprechenden Druck ausgeübt hatten sowohl die UN, in Form ihres Sonderbeauftragten Lakhdar Brahimi, als auch die USA, durch Sondervermittler James Dobbins.

Doch die Frage, wer genau am Konferenztisch sitzen darf, ist noch ungelöst. Die Formel der UN, es sollten die Vertreter all jener Bevölkerungsgruppen sein, die einen "konstruktiven Beitrag" leisten, ist sicherlich zu vage. Außerdem ist noch offen, ob und in welcher Form das so genannte "Sechs-plus-Zwei"-Gremium an der Konferenz teilnimmt. Das sind die sechs Nachbarländer Afghanistans plus den USA und Russland. Deren Zustimmung zur politischen Neuordnung ist unerlässlich.

Die Stabilität im Land müssen vorübergehend jedoch ausländische Streitkräfte garantieren. Drei Alternativmodelle dazu sind inzwischen überholt: Brahimi hatte gehofft, ganz darauf verzichten zu können, ein Einsatz von Blauhelmen wie in Ruanda, Somalia und Bosnien würde zu lange dauern, eine effiziente Truppe, die sich ausschließlich aus Soldaten islamischer Länder zusammensetzt, kommt nicht zustande.

Alles läuft daher auf den Einsatz einer multinationalen Armee (MNF) hinaus, die vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet wird. Die Führung würde am besten in türkischer Hand liegen, dem einzigen islamischen Nato-Land mit gut ausgebildeter Armee. Eine wichtige Rolle darin sollten auf jeden Fall auch Großbritannien und Frankreich übernehmen. Schon jetzt scheint Paris ebenso bereit, die Sicherheit der Bewohner von Masar-i-Scharif gewährleisten zu wollen, wie London dies offenbar im Falle von Kabul tun wird.

Wer fliegt Lebensmittel und Arzneien?

Die Nato wiederum ist vorrangig im Rahmen der humanitären Hilfe gefragt. Lebensmittel und Medikamente müssen in die umliegenden Länder geflogen, die Routen wieder instand gesetzt werden, die Hilfsorganisationen brauchen bewaffneten Schutz. Die organisatorische Planung sowie die Verteilung der Güter würde allerdings trotz Nato in der Hand der Hilfsorganisationen bleiben.

Das Knäuel lässt sich entwirren. Uno und Nato sind stärker gefragt denn je. Nach dem Motto: Nerven behalten und zügig handeln.

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