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Kultur: Afrika und Aids: Die Zukunft stirbt - Warum vor allem die Jugend unter den traditionellen Tabus der Gesellschaft zu leiden hat

"Ich komme aus England", sagt der kleine Robert und hüpft in die Höhe. Sechs Jahre ist er alt, und Dutzende heller Pusteln bedecken seine schwarze Haut.

"Ich komme aus England", sagt der kleine Robert und hüpft in die Höhe. Sechs Jahre ist er alt, und Dutzende heller Pusteln bedecken seine schwarze Haut. Er hat Aids - und hat doch auch Glück gehabt. Denn Robert lebt in einem Waisenheim in Kapstadt und wird betreut. Alle Kinder hier sind todkrank, ihre Eltern sind bereits gestorben. Sie lebten irgendwo auf dem Land, in Hütten ohne Wasser und Strom. Irgendwann werden die Kleinen in ihre Heimat zurückkehren - im Kindersarg. Bis dahin dürfen sie spielen, malen und lachen. Bis dahin dürfen sie glauben, dass sie aus England kommen.

In Südafrika stirbt die Zukunft. 120 000 Kinder sind HIV-positiv, jedes Jahr kommen 75 000 dazu. Bei den Jugendlichen sieht es noch schlimmer aus: Jeder Vierte hat Aids. "Das sind unsere zukünftigen Politiker, Ärzte und Journalisten", klagt der Immunologe Ruben Sher, "wenn wir sie verlieren, dann verlieren wir unsere Nation." Der Aids-Experte streicht sich genervt durchs weiße Haar. Seit Jahren kämpft er für Aufklärung und Verhütung in seinem Land, doch immer stößt er an Grenzen.

Die Regierung fürchtet um ihren Ruf in der Welt und um Wählerstimmen der schwarzen Mehrheit. Präsident Thabo Mbeki hat die Ursachen der Krankheit geleugnet und dafür Beifall in den Armenvierteln bekommen. Kondome werden dort als Problem der Weißen wahrgenommen. Wer welche benutzt, gilt als krank und wird geächtet. Und wenn jemand stirbt, wird das als Grippe deklariert. Früher haben sie in Südafrika die Toten nur am Wochenende beerdigt, inzwischen werden jeden Tag Gräber ausgehoben. Alle 90 Minuten stirbt ein Mensch. In den staatlichen Kliniken kann den Patienten nicht geholfen werden, das ist zu teuer. "Wir geben denen eine Aspirin und schicken sie wieder nach Hause", sagt eine Ärztin. Der Aids-Beauftragte der Regierung hofft: "Wir wollen das Problem bis 2010 unter Kontrolle bekommen." Konkrete Pläne hat er nicht. Für den Anfang verteilt er rote Aids-Schleifen.

"Muss ich schon Sex haben?", fragt ein siebenjähriges Mädchen im Unterricht. Clever Shikwambane, der in der blauen Trainingsjacke vor seiner Klasse steht, schüttelt den Kopf. Dann erzählt der Dorflehrer eine Geschichte. Er spricht von Frauen und Männer, und davon, woher die Babys kommen. Die Kleinen aus dem Dorf bei Pretoria hören aufmerksam zu, manchmal lachen sie.

Sexualkunde in der zweiten Klasse: Der 44-jährige Pädagoge sieht darin die einzige Rettung. Ein Bild hat er an die Betonwand der Schule gemalt mit einer großen roten Schleife. "Benutzt Kondome", steht da drauf. Am Ausgang der Schulbaracke liegt eine Pappschachtel mit verpackten Gummis darin. "Nehmt sie mit und gebt sie euren Eltern", sagt Clever. Er weiß, dass in den Blechhütten auf den Hügeln nicht über Aids geredet wird. Dort, wo manche Männer noch eine Hauptfrau und eine Nebenfrau haben. Dort, wo sich kaum ein Mädchen traut, den Geschlechtsverkehr zu verweigern. Dort, wo die Menschen ganz andere Sorgen haben.

Nelson Mandela lacht. Der ehemalige südafrikanische Präsident klatscht in die Hände, singt und beginnt zu tanzen. Um ihn herum stehen Tausende Menschen unter zerfledderten Sonnenschirmen und feuern ihn an. Die Frauen tragen bunte Tücher und Röcke aus Kuhleder. Hier, in der Provinz Ostkap, ist Mandela zu Hause. Weitab von asphaltierten Straßen grassiert der Virus. Mandela wird plötzlich ernst. "Wir müssen unsere Traditionen brechen", ruft er seinen Anhängern in der Stammessprache Xhosa zu, "wir müssen uns vor der Krankheit schützen." Die Frauen sind schockiert, solche offenen Worte hören sie zum ersten Mal. "Unsere Schulen nützen uns nichts, wenn alle Kinder Aids haben", sagt Mandela und steigt in seinen Hubschrauber.

Die Kinder winken ihm hinterher, fröhlich und zugleich verstört. Am Rand steht der 14-jährige Nofemela und knabbert auf einer Plastikflasche herum. Sein schmutziges, blaues T-Shirt glänzt in der Sonne. Lehrer möchte der Junge mal werden, nicht arbeitslos wie seine Eltern. In der Hosentasche hat Nofemela ein Kondom versteckt. Was er damit machen soll? Er zuckt die Schultern: "Weiß ich nicht."

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