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Schwerelos. Das Eingangsgebäude zum 1929 eröffneten U-Bahnhof Krumme Lanke, entworfen von Alfred Grenander.

© Imago

Alfred Grenander: Der Mann, der die U-Bahn erfand

Pionier der Moderne: Eine Studie würdigt den Architekten Alfred Grenander, der Berlins Stadtbild prägte.

Peter Behrens und die AEG: Das wurde mit dem Erscheinen des gleichnamigen Buches 1979 geradezu zum Synonym für Industriekultur. Seinerzeit, vor 30 Jahren, flammte das Interesse an der Architektur des Wilhelminismus auf, die bis dahin fast durchweg gering geschätzt und vielerorts sogar abgerissen worden war. Behrens, ja gut, aber sonst?

Ende des 19. Jahrhunderts wurde Berlin zur Weltstadt, aber auch zu jener Mietskasernen-Metropole, die im Urteil der Generation der 1920er Jahre als planlos, protzig und unsozial galt. Die Reichshauptstadt wuchs zum größten Industriezentrum Europas, sie wucherte großenteils, das stimmt. Doch neben den endlosen Häuserzeilen von Mietwohnungsbauten entstand eben auch Industriekultur – mit der Betonung auf „Kultur“. Nicht nur Fabrikhallen, auch ein völlig neues Verkehrssystem wurde benötigt.

Bereits 1902 war in einem Fachblatt zu lesen, „dass es sich bei der Berliner Hoch- und Untergrundbahn um die großartigste Unternehmung in Berlin innerhalb des letzten Jahrzehnts handelt, um eine Anlage, die auf weiten Strecken der Reichshauptstadt ein völlig neues Gepräge gibt“. Das war im Jahr der ersten Streckeneröffnung. Wichtigster U-Bahn-Architekt: Alfred Grenander (1863 – 1931). Den größten Teil seines Lebens verbrachte der gebürtige Schwede in Berlin.

Sein Name hat sich nicht so ins öffentliche Bewusstsein eingeprägt wie derjenige von Behrens, ungeachtet der Ausstellung, die ihm vor knapp vier Jahren im Deutschen Technikmuseum gewidmet war. Dabei stammt ein Großteil der Berliner Bahnhofsbauten von ihm, und zwar aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wie auch der danach – bis zum durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Baustopp 1931. An der TU arbeitete ein Forschungsprojekt weiter, das das gesamte Werk Grenanders untersuchte. Der Ergebnisband wird am morgigen Mittwochabend vorgestellt. Die Überraschung: Grenander war ein Baumeister und Gestalter, der sich mit Behrens nicht nur hinsichtlich der Aufgabenbreite messen kann, sondern der auch die Herkunft mit ihm gemeinsam hat – beide entstammen der Reformbewegung des späten Wilhelminismus.

Grenander hatte in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts an der TU Charlottenburg studiert, war dann Mitarbeiter bei Alfred Messel und Paul Wallot, dem Architekten der Wertheim-Bauten am Leipziger Platz und dem Schöpfer des Reichstagsgebäudes. In diesen Büros entstand die zugleich monumentale wie klassische Architektur, die Berlin ein neues, gänzlich vom Prunk des Wilhelminismus abweichendes Bild verlieh. Und es gab neue Baumaterialien: Stahl und Beton.

Grenander gab den Hochbahnviadukten der Stammlinie von Kreuzberg zum Nollendorfplatz, die wegen ihrer zunächst ungefügen Erscheinung enorme Kritik hervorriefen, nachträglich ein elegantes Aussehen, durchaus schwankend zwischen Historismus und Jugendstil, wie am Bahnhof Bülowstraße zu erkennen ist. Schon beim Viadukt in der Schönhauser Allee wurde wenige Jahre später alles vereinfacht und geklärt, wie auch bei den schönen Bahnhöfen Eberswalder Straße und Schönhauser Allee. Grenander hatte eine nüchterne Gestaltung für technischer und industrielle Bauten entwickelt, das demonstrierte er auch bei seinen Fabrikbauten für Knorr-Bremse nahe dem Ostkreuz oder für Ludwig Loewe in Moabit. Stand jedoch eine stadtbildprägende Aufgabe an, konnte er auch anders, wie bei der zum Glück erhaltenen Gotzkowskybrücke mit ihren Torhäuschen.

Daneben hat der Architekt zahlreiche Villen entworfen, stilistisch vergleichbar mit den ungleich berühmteren Landhäusern von Hermann Muthesius. Eine großbürgerliche Kultur gedieh im Grunewald und in Potsdam. Merkwürdig ist allerdings dass Grenander nach dem Weltkrieg fast kein Wohnhaus mehr entwarf. Stattdessen arbeitete er wieder an technischen und gewerblichen Bauten wie der BVG-Verwaltung an der Dircksenstraße oder dem Gleichrichterwerk mit Wohntrakt ganz nahe am Hermannplatz.

Der gewaltige, doppelstöckige U-Bahnhof von 1927 stammt auch von ihm, die U-Bahn-Wagen ebenfalls. Auch Zeitungskioske hat Grenander entworfen, als Typenmodelle, allerdings bereits 1905 und mit einer zeittypisch fernöstlichen Anmutung. Auf dem Savignyplatz ist einer davon erhalten, ebenso auf dem Kreuzberger Heinrichplatz.

Das ist es, was Industriekultur im Sinne von Peter Behrens wollte: die Aufhebung der bis 1900 üblichen Trennung von Architekt und Ingenieur sowie die Gestaltung aus einem Guss, vom Bauwerk bis zum einzelnen Gegenstand. Dies war das Programm des Deutschen Werkbundes, der 1907 gegründeten Vereinigung von Architekten, Designern und Industriellen. In dessen berühmten Jahrbüchern der 1910er Jahre sind auch Grenanders Entwürfe abgebildet.

Am Hoch- und U-Bahn-Bau waren anfangs weitere Architekten beteiligt, die den Stil des Industriezeitalters schufen. Die Moderne begann nicht erst mit den 20er Jahren und den auf der Unesco-Welterbeliste verzeichneten Wohnsiedlungen von Bruno Taut. Sie begann mit der Jahrhundertwende, in jenen stürmischen anderthalb Jahrzehnten, denen der Erste Weltkrieg ein abruptes Ende bereitete.

Christoph Brachmann/Thomas Steigenberger (Hrsg.): Ein Schwede in Berlin. Der Architekt und Designer Alfred Grenander und die Berliner Architektur. Didymos Verlag, Korb, 568 S., 611 Abb., 79 €. – Buchvorstellung in der TU Berlin, Architekturgebäude, Straße des 17. Juni 152, Mittwoch, 23. Juni, 18 Uhr.

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