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Berliner Galerienszene: Alle am Tisch

Im Westen öffnen neue Räume – und angestammte Galerien zeigen Kunst der Moderne aus Berlin.

Das „Café Kranzler“ ist zurück, seine gestreiften Markisen schirmen die Gäste auf dem Trottoir am Kurfürstendamm ab. Wer hier spazieren geht, trägt Schlips und Jackett – man reibt sich die Augen: In welchem Jahrzehnt lebt die Galerie Mehdi Chouakri, die in ihrer jüngsten Rundmail den Umzug aus Mitte in den Berliner Westen annonciert?

Eine Postkarten-Idylle der sechziger Jahre als Versprechen für die Zukunft, so muss es gemeint sein. Die Vergangenheit lässt sich kaum feiern, denn von Kunst und ihren eifrigen Käufern geprägt war die Gegend auch damals nicht. Nun führt der Weg noch ein Stück tiefer westlich unweigerlich in ein wachsendes Galerienviertel mit alten Bekannten und neuen Gesichtern. Manche wie Clemens Fahnemann sind nie wirklich aus der Fasanenstraße weggegangen. Bloß die Sichtbarkeit seiner Galerie, die er inzwischen in der Beletage nach Vereinbarung betreibt, ist eine andere. Gleich um die Ecke hat sich Klaus Gerrit Friese ebenfalls im ersten Stock eines Altbaus niedergelassen, nachdem er vor gut einem Jahr aus Stuttgart nach Berlin umgezogen ist. Und wenn Mehdi Chouakri nun zum Gallery Weekend im April zwischen den beiden an der Ecke zum Fasanenplatz eröffnet, füllen sich auch die Erdgeschosse wieder mit Kunst.

So lange muss man allerdings gar nicht warten, um Neues zu sehen. Auch wenn die Ausstellung zur Premiere „Wenig Licht, kein Wasser“ verspricht, hat sich Philipp Haverkamp in der Mommsenstraße Nr. 67 alle Mühe mit seinem space gegeben. Die Wände sind frisch gemacht, in der ersten Ausstellung tummeln sich Arbeiten von Daniel Hauptmann, Okka-Ester Hungerbühler und Alexander Ruthner. Haverkamp, viele Jahre Partner der Galerie Contemporary Fine Art (CFA), zieht es damit in die Nähe jenes Hauses, in dem auch die beiden anderen CFA-Direktoren Nicole Hackert und Bruno Brunett eine Auszeit von den eigenen Superansprüchen in Mitte nehmen. Immer größer, immer teurer wie zuletzt am Kupfergraben waren die Adressen geworden. Der Umzug in einen anderen Bezirk erlaubt zugleich eine Zäsur, die so am alten Ort nicht möglich wäre.

Die historischen Kant-Garagen werden ein Galeriehaus

Wilmersdorf, Charlottenburg: Der typische white cube ist hier rar gesät. Kleinteilige Ladenlokale und großbürgerliche Wohnungen dominieren das Stadtbild – sieht man von den historischen Kant-Garagen ab, die bald zu einem Galeriehaus umgebaut werden sollen. Ansonsten aber fügen sich die ausgestellten Arbeiten wunderbar in eine Architektur, die ihre Vergangenheit spürbar macht. So wie bei Berinson. Auch diese Galerie hat als „Umzögling“ aus Kreuzberg neue Räume in der Schlüterstraße Nr. 28 zu bieten und präsentiert als erstes siebzig großformatige Porträts von August Sander.

Der Fotograf selbst wählte die Exponate vor einem halben Jahrhundert aus, sein Sohn Gunther verwirklichte damals die Ausstellung. Hendrik A, Berinson greift die Idee noch einmal auf, wenn er anhand der Bildbeispiele zeigt, welche „Menschen des 20. Jahrhunderts“ aus dem Konvolut August Sander als konzeptionell für sein Lebenswerk begriff. Eine Schau, die auf den Dialog setzt und intime Momente zwischen dem Besucher und jenen gesellschaftliche Stände verkörpernde Modellen, die ihn ihrerseits unverwandt anschauen. Ähnlich verhält es sich mit den eindrucksvollen Gemälden und Papierarbeiten von Werner Heldt, die aktuell von der Galerie Michael Haas gezeigt werden. Einer Galerie, die allen Tendenzen zum Umzug kreuz und quer durch die aufstrebenden Quartiere widerstanden und am Standort Niebuhrstraße Nr. 5 festgehalten hat.

Heldt, 1904 in Berlin geboren, studierte hier in den zwanziger Jahren, zog über Paris nach Mallorca und kehrte 1936 nach Berlin zurück. Nach seinem Kriegsdienst und der Entlassung aus britischer Gefangenschaft stand er vor einer völlig zerstörten Stadt – und hielt die Eindrücke malend fest. Der Maler, der 1950 den Berliner Kunstpreis erhielt, gilt als Zeitgenosse mit nüchternem Blick, der das karge, schmucklose Berlin in seiner figurativen Kunst präzise erfasste. Dennoch fügen sich bei ihm die Fassaden auch zu steinernen Kolossen, bleckt ein Schädel auf dem Tisch am Fenster und glaubt man im Angesicht endloser Häuserreihen den monotonen Rhythmus einer Metropole zu hören. Doch die Ordnung der von Heldt auf seinen Bildern arrangierten Dinge bleibt fragil. Und wenn er wie 1952 sein Gemälde „Une gifle aux Nazis (Stilleben)“ nennt, zeigt der Künstler sehr wohl, dass unter dem bunten, progressiven Interieur seines Bilds noch die Trümmer der jüngsten Geschichte liegen.

Die Stadt begreift sich als Metropole und wurzelt im Kleinstädtischen

Die Galerie Michael Haas versammelt Werke aus allen Schaffenzeiten. Heldts Vorbilder, die Kubisten ebenso wie die Magier des Realismus, offenbaren sich schnell. Aber auch die individuelle Sprache eines Kriegsversehrten, der als nächste Generation die Mittel der Avantgarde vor ihm zusammenklaubte, um aus ihren Resten eine andere Wirklichkeit zu errichten. Heldt, der 1954 nach einem Schlaganfall auf Ischia starb, hatte sich Jahre zuvor wegen Depressionen in psychiatrische Behandlung begeben. Er litt an seiner Zeit, vielleicht auch an sich selbst – und diese Brüchigkeit in der Wahrnehmung vermittelt seine Sujets bis in die Gegenwart.

Obgleich Werner Heldt aus Berlin-Mitte stammte und erst 1948, kurz vor der Berlin-Blockade, aus dem sowjetischen in den britischen Sektor wechselte, passt sein Werk perfekt in jenes Bild, das auch die Ku’damm-Szene vermittelt. Es sind Impressionen einer Stadt im Aufbau, die sich als Metropole begreift und dennoch im Kleinstädtischen wurzelt. Was sie nicht als Beleidigung versteht, sondern als Aufforderung, sich in beidem einzurichten. Wen wundert, wenn es die Galerien ihr nun gleichtun?

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