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Kultur: Alles auf einem

Besuch im Atelier: Ein Palästinenser malt in Kiew das größte Ölbild der Welt

Größe kann etwas Mathematisches sein oder etwas Philosophisches. Je nachdem, mit welchem Wort oder Wert man sie verbindet, steht sie für Charakterstärke oder gefährlichen Wahnsinn. Kann ein einzelner Mann mit einem Pinsel in der Hand, der seit Monaten Detailarbeit verrichtet und dabei das überbordende Ganze im Blick hat, ganz normal sein? Fast drängt er sich auf, der Gedanke an Sisyphos – denn Jamal Badwan ist sich sicher, dass sein Felsblock nicht abstürzen wird. Immer wieder blickt er mit zusammengezogenen Augenbrauen auf seinen Entwurf, dreht sich wieder zur meterhoch aufgespannten Leinwand und verändert sie mit wenigen Pinselstrichen.

Ein in die Breite gezogener Menschenkopf stellt das nördliche Afrika dar, das von einer fürsorglichen Hand – Europa – schützend bedeckt wird. Das entstehende Bild wird die Fassadenfläche eines siebenstöckigen Hauses mit 15 Metern Breite haben. Seit fünf Monaten arbeitet Badwan an dem Werk mit dem Titel „In Vielzahl: einer“.

Badwans Atelier versteckt sich in einer Lagerhalle in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Es ist mit Holzlatten, Baustrahlern und dem Geruch von Ölfarben gefüllt. Zweimal ist er in dem schlecht belüfteten Raum bereits umgekippt, erzählt seine Frau Tatjana. „Ich bin Unternehmerin und arbeite nebenan. Ich habe Jamal lieber in meiner Nähe, denn die Farbe hat eine starke Wirkung auf ihn“, sagt sie – und meint damit nicht nur die Gefährlichkeit der giftigen Dämpfe für den Körper ihres 50-jährigen Ehemanns. Das Projekt, für das er vier Jahre eingeplant hat, zerrt an den Ressourcen Jamal Badwans. Außer seiner Gesundheit, seiner Zeit und Energie hat er auch Geld investiert. Doch wer wird kleingeistig nachfragen, wenn das ganz Große entstehen soll? Weiß denn noch jemand, wie viel Mühe das 677 m² große Fresko von Tiepolo in der Würzburger Residenz gekostet hat? Mit der heiseren Stimme eines Überzeugungstäters sagt Badwan: „Es geht mir darum, eine Botschaft in die Welt zu tragen: Alle Religionen haben viele Gemeinsamkeiten und sollten nicht zum Zwist zwischen Menschen führen.“

Ein Rekordversuch zum Zweck der Ökumene, mit der Botschaft vom Frieden zwischen den Völkern? „Ja, es geht um das Verbindende“, sagt Badwan und wischt sich mit dem Ärmel seiner Jeansjacke über die schweißige Stirn, weil seine Hände voller Farbe sind. Auf keinen Fall wolle er sein Bild politisch verstanden wissen, schließlich seien nicht „alle Menschen bereit für Toleranz“. Große Botschaften auf eine intolerante Welt loslassen, geht das überhaupt? Er wisse es nicht, sagt Badwan, jedenfalls habe er es abgelehnt, zahlungskräftige Sponsoren an Land zu ziehen. Obwohl ihm Geld geboten wurde, wenn er das Bild auf die ein oder andere Art und Weise verändert – und damit auch die Botschaft.

Doch Badwan will sich nicht instrumentalisieren lassen. So hat er auch strikt verboten, die Skizze des Gesamtwerks vor der Fertigstellung zu fotografieren. Als Elemente gibt es eine Weltkugel, eine riesige Friedenstaube, Kirchtürme und Minarette.

Die Aufnahme ins Guinness-Buch der Rekorde hat er schon beantragt – eine Botschaft, die niemand hört, sei schließlich keine, findet der Künstler. Doch leicht wird es auf dem internationalen Parkett der Riesengemälde nicht, erst im November schufen Menschenmassen in einem Stadion im Libanon ein 4600 Quadratmeter großes Bild.

Trotz aller Ideen und Ideologien hatte Jamal Badwan bei seinem Projekt zunächst vor allem mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Bei Kunstwerken mit solchen Dimensionen ist es üblich, sie in eine Vielzahl kleinerer Bilder zu zerteilen, um die Aufgabe beherrschbar zu machen. Badwan dagegen malt auf zehn durchgehende Leinwandrollen, als wolle er seine Idee nicht zerstückeln. Die Technik dafür hat er eigens entwickelt, Details seiner Holzkonstruktion verrät er nicht.

„Wenn andere Künstler uns besuchen, interessiert sie vor allem der Aspekt der Ausführung“, erzählt Tatjana. Sie ist 14 Jahre jünger als ihr Mann und hält Jamal Badwan den Rücken frei. Während er malt, spricht sie davon, dass das Thema des Bildes immer aktuell bleiben werde. Badwan versinkt mit seinen Gedanken im Werk und versenkt sich mit seinem Pinsel im italienischen Stiefel. Tatjana schaltet eine zusätzliche Lampe an und begutachtet das Entstehende. Sie erschaffen es gemeinsam, dieses Ungetüm, ein jeder für sich und doch zusammen.

Vor mehr als 15 Jahren kam der aus den Palästinensergebieten stammende Badwan in die Ukraine, mittlerweile ist er Staatsbürger. Vor vier Jahren brachte ihn sein Sohn auf die Idee für das überdimensionale Fanal für Völkerverständigung. „Er kam zu mir und sagte: Papa, du bist Moslem, Mama ist Christin und wer bin dann ich? Heute sage ich: Man kann auf das Bild schauen und die Antwort darin entdecken.“ Als Kind hat Badwan den Endloskonflikt der Palästinenser mit Israel aus nächster Nähe mitbekommen, vielleicht wehrt er sich deshalb gegen jegliche politische Symbolik und Vereinnahmung.

Eine Ausstellungshalle gibt es noch nicht, die wenigen in Kiew vorhandenen Räumlichkeiten mit passenden Ausmaßen kosten horrende Summen. Doch der Ort hängt auch von der Zeit ab. Wenn das Bild im Sommer fertig wird, können sich Tatjana und Jamal Badwan auch eine Freiluftausstellung vorstellen. Der Maidan Nezalezhnosti schwebt ihnen vor, der Unabhängigkeitsplatz in Kiew, auf dem 2005 die Orangene Revolution das Land erschüttert hat.

Der Duft von politischem Protest und Umsturz hängt dauerhaft über dem weitläufigen Hort ukrainischer Identität. Ein Gemälde mit dem Thema Religionsverständigung erscheint hier so realistisch wie ein Helmut-Kohl-Denkmal in der Hamburger Hafenstraße – und wäre vielleicht gerade deshalb so überzeugend.

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