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Kultur: Alles dreht sich

Schlingensiefs Parsifal-Animatograph auf dem Flugplatz von Neuhardenberg

Patti Smith ist da. Steht im Hof von Schloss Neuhardenberg neben Christoph Schlingensief, einfach so. Der Regisseur erläutert gerade mit Megafon und Zeigestock den Parcours seines Animatographen auf dem NVA-Flugplatz. Während er ausholt und vor der Schautafel von „Odins Parsipark“ den Bogen schlägt vom Gralstempel über die Klingsor-Gruft, die NASA-Station, das Islandparlament und die Luftkirche bis zum Drehbühnen-Mausoleum für Weltkrieger, während er sein Werk mit Lust und Laune beschwört, immer schneller, immer wortreicher, bis den angereisten Premierengästen zu schwindeln beginnt – blinzelt Patti Smith in die Runde und lacht.

Eigentlich kann es sich die berühmteste Rocksängerin der Welt an diesem Freitag gar nicht leisten, in Neuhardenberg zu sein. Am Donnerstag trat sie in Amsterdam auf, gestern eröffnete sie die Ruhr-Triennale in Bochum. Aber seit sie Ende Juli in Bayreuth Schlingensiefs „Parsifal“-Inszenierung sah, ist sie Schlingensiefianerin. Vor allem wegen des Hasen, der auf dem Video zum Schlussakt der Wagner-Oper im Zeitraffer verwest und erlöst wird.

Leute, sagt sie nun ins Megafon, schaut Euch den Parsipark im Vollbesitz eurer geistigen Kräfte an und mit dem Herzen eines Kindes. Wenn sie als Kind in der Scheune spielte, war alles, was sie entdeckte, ein Schatz. Bevor die Busse zum Flugplatz abfahren, empfiehlt sie noch schnell den Hasenraum, und den Vollmond dazu.

Jetzt ist der Hase im Bunker gelandet. Beziehungsweise im Hexenhaus im Wald neben dem NVA-Landeplatz mit seinen grasbewachsenen, Maya-Tempeln gleichenden Flugzeughangars. Vor dem Haus begrüßt ein Hitler-Darsteller die Gäste, die fortan in Hausruinen und Bretterverschläge klettern, um dort mit Wagner beschallt zu werden und im Halbdunkel den Mythenwesen nordischer Sagen und germanischer Götterunterwelten zu begegnen. Auf Videos, Monitoren, Drehbühnen, Graffiti-Wänden. Die Kunstmüllhalde des „Parsifal“-Bühnenbilds, hier wird sie Ereignis. Überall Silhouetten, Projektionen, Schattenrisse – und der Zuschauer mittendrin. Der Animatograph, ein Seelenhöhlengleichnis.

Im finsteren Wald schreit ein Schwein, dort schweißt einer die V2-Rakete für des Hasen Himmelfahrt zusammen, Otto Mühl lässt grüßen und Beuys sowieso. Wer den Bayreuther „Parsifal“ gesehen hat, kennt die meisten Versatzstücke der Freiluft-Installation, die nach Island und vor Afrika für ein paar Tage in Brandenburg Station macht: den Vogel Strauß vor dem Geysir zum Beispiel – das ist der Terrorist, sagt Schlingensief, denn der gehört da nicht hin. Von einem Hochsitz plärrt Adriano Celentano, gegenüber beschwört Adorno den Kapitalismus, Muezzine rufen, und allerorten dräut der Best-of-„Parsifal“-Sound.

Angst essen Seele auf. Alles so wirr und wüst hier: Laterna Magica, Geisterbahn, Gruselkabinett, Blair Witch Project. Sollte Schlingensiefs „Parsifal“ je auf DVD erscheinen, gibt’s „Odins Parsipark“ als Bonusmaterial dazu. Als mattes, enttäuschendes Echo auf Bayreuth. Denn ist das nun Aktionskunst, Kino oder Musiktheater, Ausstellung oder Performance? Schlingensief will alles mit allem verschmelzen, auf dass die Verwirrung in die Andacht, in den Rausch umschlägt. Allein, wer vor den Mückenschwärmen flieht und über Wurzeln stolpert, wer von Hexenhaus zu Hexenhaus pilgert und sich auf der Drehbühne drängelt, dem gelingt vor lauter Mobilität keine Kontemplation. Einsteigen und Mitfahren? Der ideale Zuschauer für Schlingensiefs Mythen-Karussell muss noch erfunden werden.

Wenn es bloß nicht so dunkel wäre. Da, vor Parsifals Blutgewand zwischen den hohen Gräsern, ein Schemen, wer ist das? Während der Mond hinter den Kiefern sein gespenstisches Licht anknipst, steht Patti Smith im Wald, ganz allein. Ihr weißes Hemd mit den überlangen Ärmeln blitzt unter dem schwarzen Jacket hervor,wie auf dem Cover von „Horses“. Jesus died for somebody’s sins, but not mine. Himmlische Erscheinung.

Wieder heute und 26.–28.August. Infos unter www.schloss-neuhardenberg.de

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