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Kultur: Alles im roten Bereich

Zehn Jahre nach dem großen Sieg, ein Jahr vor der Wahl: Die SPD feiert sich im Jüdischen Museum als Partei der Kultur

Kultur, das ist das Gute. Und die SPD hat es erfunden – das Amt des Kulturstaatsministers. Ein kleines Amt mit weitreichender Bedeutung, angesiedelt in jenem großen Gebäude, das Ortsfremde leicht mit dem gegenüberliegenden Hauptbahnhof verwechseln können.

Er soll da rein, ins Bundeskanzleramt, hat Gerhard Schröder vor zehn Jahren beschlossen. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, wie der Titel offiziell umständlich lautet, sitzt unmittelbar in der Machtzentrale. Bisher war dies eine Erfolgsgeschichte, von Michael Naumann über Julian Nida-Rümelin und Christina Weiss (alle SPD) zu Bernd Neumann (CDU). Alle vier Kulturstaatsminister haben Geld angeschafft und Impulse gegeben. Man will das in Berlin und der Berliner Republik nicht missen.

Und die Sozialdemokraten feiern. Zum 10-jährigen Jubiläum der Bundeskulturpolitik – sieben Jahre davon hatte die SPD zu verantworten – traf sich am Montagabend im Jüdischen Museum fast die gesamte Parteispitze. Eine solche Kulturparty gab’s noch nie. In Wahrheit war es ein mehr oder weniger kaschierter Wahlkampfauftakt. 1998 erfand Schröder die „neue Mitte“, jetzt heißt es „Hauptsache Kultur“. Der Begriff Kultur wird gedehnt, so weit es überhaupt nur geht.

Nichts weniger als gesellschaftliche Definitionshoheit – das ist es, was Gerhard Schröder in seiner Rede im Libes kind-Lichthof beansprucht. Es rieche nach politischer Veränderung, frohlockt er am Abend nach der Bayernwahl und beschwört die Zeit, als er Helmut Kohl ablöste. Was damals mit Rot-Grün gelang, stellt Schröder heute als „kulturellen Aufbruch und gesellschaftliche Öffnung“ dar. Eine Politik der Integration, das Zurückdrängen von Fremdenfeindlichkeit, die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, all dies gehöre zum kulturellen Wandel, den die SPD initiiert hat.

Zuvor ist Franz Müntefering eingezogen wie eine rundum erneuerte Lichtgestalt. Die SPD strahlt Zuversicht aus wie lange nicht mehr, die Kultur dient ihr als eine Art Jungbrunnen. Das hat System. Nicht zufällig ist in Berlin der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit auch der Kultursenator. Hier kann man glänzen, zumal in der Hauptstadt. Kulturpolitik, einst eine graue Maus, wird sexy.

Frank-Walter Steinmeier, dem Kanzlerkandidaten, nimmt man das leidenschaftliche Interesse ab, das er speziell für Literatur bekundet. Seine Rede im Jüdischen Museum – das Haus gehört zu den Berliner Kultureinrichtungen des Bundes – hat beeindruckt. Er spricht doch sehr subtil von einer „abnehmenden Skepsis zwischen Politik und Kultur“ und lobt das System der öffentlichen Kulturfinanzierung in Deutschland. Nach einer Woche in New York berichtet Steinmeier von der Angst, die im MoMA oder Lincoln Center umgeht; dort brechen wegen der Finanzkrise die Sponsoren weg, die Kulturstiftungen wanken. Schon ganz Wahlkämpfer, fordert der Außenminister: „Der kulturelle Aufbruch muss anhalten und weitergehen.“

Steinmeier, ein erklärter Freund des Goethe-Instituts, fordert, man müsse „gefälligst die deutschen Augen in Richtung Horizont öffnen“ und eine sich neu formierende Welt verstehen lernen. In der Kaukasus-Krise, so Steinmeier, habe das „alte Europa“ Vernunft bewiesen und die Waffen zum Schweigen gebracht. Vernunft und ein langes historisches Gedächtnis: Auch das subsumiert der neue SPD-Spitzenkandidat unter Kultur.

In einer Zeit drückender Ungewissheit klingt das immerhin, ja: kultiviert. Wir sind die politische Kultur, schreibt die SPD im Jüdischen Museum auf ihre Fahnen. Eine Partei feiert sich selbst, bringt sich in Siegerlaune. Dabei wird unversehens aus Kulturpolitik ein globales Werkzeug. In dieser Form ist das neu.

Ende Oktober lädt Kulturstaatsminister Bernd Neumann seine drei Vorgänger in den Martin-Gropius-Bau. Auch die Bundeskanzlerin wird sprechen. CDU und SPD tragen einen Wettbewerb um die Vorherrschaft auf einem Gebiet aus, das vor zehn Jahren kaum einen Politiker kratzte.

Kultur als Rettungsanker, wenn es stürmisch und unübersichtlich wird. Die Künstler und Literaten sind da bei der machtvollen SPD-Demonstration ein wenig untergegangen. Ulrich Matthes liest aus dem Roman „Adam und Evelyn“ von Ingo Schulze ein Kapitel über die wissenschaftlichen Chancen der Unsterblichkeit, nachher diskutiert Schulze mit Günter Grass und Gesine Schwan, der SPD-Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, über Ungerechtigkeiten zwischen Ost und West. Was gar nichts bringt in einem solchen Rahmen. Die öffentliche Talkshow ist eine verbrauchte Kulturtechnik. Die drei sozialdemokratischen Kulturstaatsminister auf dem Podium können sich da, moderiert von Wolfgang Thierse, nur im Anekdotischen ergehen.

Michael Naumann, mittlerweile wieder abgekommen von der praktischen Politik, rät allen Kabinettsmitgliedern, fünf Romane im Jahr zu lesen, für den Geist und die Seele. Da blitzt das Idealistische wieder auf, der Glaube, dass Kultur das Gute (und Wahre und Schöne) sei. Und da wird der Kulturbegriff auch wieder eng, nachdem er von allen Rednern so ausgiebig gedehnt worden ist.

Haben die Chinesen bei den Olympischen Spielen nicht gezeigt, was für eine kritische Masse Kultur und Propaganda bilden, wenn man nur an die Bilder der Eröffnungsfeier denkt? Gehört nicht das Leben und Geldausgeben weit über seine Verhältnisse zur amerikanischen Kultur? Hat Kim Jong Il nicht eine riesige Sammlung französischer Spielfilme, und was ist mit der Lyrik eines Radovan Karadzic? Wie viel Kultur und Tradition steckt in fundamentalistischen religiösen Überzeugungen? Darüber wird noch zu reden sein. Die SPD hat ein Terrain erobert, auf dem auch viele Minen liegen.

Rüdiger Schaper

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