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Kultur: Alles ist Chemie

„Silver“: Abstrakte Fotos von Wolfgang Tillmans in der Galerie Buchholz.

Es gibt Fotografien von Wolfgang Tillmans, die den Sound einer ganzen Generation eingefangen haben: die Anfang der neunziger Jahre entstandenen Bilder von Lutz und Alex etwa und die in Clubs entstandenen nächtlichen Momentaufnahmen. Es gibt Stillleben von Früchten und Blumen, die den Betrachter die Zerbrechlichkeit des Daseins erspüren lassen. Und es gibt Fotografien, die eine Sinnlichkeit vermitteln, die man auf der Zunge schmeckt, obwohl nur Haare oder verschwitze Haut zu sehen sind oder sich schwebende, zarteste Linien verdichten und wieder voneinander entfernen, wie in der Werkgruppe „Freischwimmer“.

Nichts davon vermittelt sich auf den ersten Blick in den Berliner Ausstellungsräumen der Galerie Buchholz, in denen Wolfgang Tillmans erstmals ausschließlich Bilder aus der Werkgruppe „Silver“ zeigt (Preise auf Anfrage). Graubraune Schlieren ziehen sich über die in drei Formaten entstandenen Fotografien und lassen den Besucher im Ungewissen, was zu sehen ist. Eine Mauer? Birkenrinde? Reifen- oder Klebespuren? So sehr der Betrachter auch Etiketten zu finden sucht, so konsequent entziehen sich die Bilder einer Zuordnung. Es sieht aus, als wären Fotografien, die einmal dagewesen sind, vom Fotopapier wieder entfernt worden – als sei der Fotograf der Frage nachgegangen, wie wenig er übrig lassen muss, damit überhaupt ein Bild entsteht.

Einen Kontrast dazu bilden leuchtende Fotoarbeiten in Türkis und Orange, die schon in ihrer Präsentationsform in weißen Rahmen wie die Fortführung der Malerei mit den Mitteln der Fotografie erscheinen. Auch hier prallt die Assoziation an Himmel oder Sonnenuntergänge an der Künstlichkeit der Farben ab, die keinen Zentimeter Illusionismus zulassen. Giftig wirken die Töne, wie Fehlfarben. Erst die Flecken, Kratzer und Ablagerungen, mit denen die monochromen Flächen unterbrochen werden, öffnen sie zum Bildraum.

Tillmans hat die „Fehler“ ins Zentrum gestellt, sie bewusst herbeiführt, indem er sich den Vorgaben nach Perfektion und Reinheit im Prozess der Entwicklung widersetzt hat. Das unbelichtete – oder zuvor homogenen Lichtquellen ausgesetzte – Fotopapier wird durch die Entwicklermaschine geführt, in der sich neben Wasser noch Spuren von Schmutzpartikeln und Chemikalien wie Silbernitrat befinden. In einem mineralisch-chemischen Prozess bilden sich Schlieren und Strukturen, die auch die Oberfläche des Fotopapiers verändern und sie zum Unikat werden lassen. Indem Tillmans die Fotografie von der Bestimmung der Abbildung befreit, legt er ihre elementaren Bestandteile bloß: Fotopapier, Licht, Wasser, Chemikalien.

Bei genauerer Betrachtung werden in den homogenen Flächen fein nuancierte, farbige Abstufungen sichtbar, die den Blick in die Unendlichkeit ziehen. Grün- oder Violetttöne werden im Grau erkennbar, und die Schlieren haben einen silbrigen Glanz. Raster und horizontale Linien erinnern an Schrift oder Notensysteme, die zur Festschreibung von Immateriellem dienen. Wie in einem natürlichen Prozess scheinen sie sich in Auflösung zu befinden und in ihre elementaren Bestandteile zu zerfallen.

Seit den neunziger Jahren entwickelt der 1968 im Remscheid geborene Künstler, der zuletzt unter anderem seine auf Reisen entstandene Werkgruppe „Neue Welt“ in großen Ausstellungen im Düsseldorfer Museum K21, der Kunsthalle Zürich oder im Moderna Museet in Stockholm gezeigt hat, solche Serien von ungegenständlichen Bildern. Dabei überlässt er dem Zufall einen immer größeren Raum. Hatte er etwa in der Werkgruppe „Freischwimmer“ noch manuell eingegriffen, so entsteht die Silver-Serie überwiegend in einem mechanischen Prozess.

„Für mich sind Zufall und Kontrolle gleich stark“, sagt Tillmans. „Es ist wichtig, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der Akzeptanz des Lebens, wie es ist, und dem Versuch, es zu beeinflussen – eine Balance, die sich nur sehr schwer aufrechterhalten lässt. Ich sehe die Lighter- und Silver-Arbeiten auch als eine Allegorie für die Brüche und Unvollkommenheiten in unserem Leben und dafür, wie wir damit umgehen.“

So liegt auch diesen nur anfangs visuell karg erscheinenden Arbeiten eine Empathie zugrunde, die das Werk von Wolfgang Tillmans kennzeichnet, der dieses Jahr auch seinen Lebensmittelpunkt von London nach Berlin verlegt hat. Hier wird er seinen Projektraum „Between Bridges“ (www.betweenbridges.net) in der Keithstraße 15 weiterführen und ab dem 18. Januar 2014 über ein Dutzend Werke des 2005 verstorbenen englischen Malers Patrick Caulfield zeigen.

Galerie Buchholz, Fasanenstr. 30; bis 21.12. & wieder 7.1.–18.1., Di–Sa 11–18 Uhr

Katrin Wittneven

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