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Kultur: Alles ist politisch

Die Leipziger Buchmesse und die Jagd nach Trends

Zu den unbeliebtesten Übungen von Buchmessenberichterstattern gehört es, bei den jeweiligen Messen in Leipzig und Frankfurt Trends auszumachen. Das ist im Halbjahresrhythmus ein Ding der Unmöglichkeit, tatsächlich lassen sich die Konzentration im Buchhandel, die Boulevardisierung der Bücherwelt oder die Mattheit der Befindlichkeitsprosa junger Debütantinnen immer wieder neu diagnostizieren.

Dieses Frühjahr ist das ein klein wenig anders. Es gibt eine Trendsportart, bei der jeder gern mitmacht: Der politische Roman ist zurück. Oder, da „politischer Roman“ nicht sehr knorke klingt, sondern mehr nach der sprödesten Prosa eines Böll oder Peter Weiss: die Literatur, die sich im weitesten Sinn mit Politik, dem Systemischen der Politik, ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen und Undurchdringlichkeiten, aber auch ihren privaten Anteilen beschäftigt.

Dazu gehören nicht nur die Romane von Michael Kumpfmüller („Nachricht an alle“), Dirk Kurbjuweit („Nicht die ganze Wahrheit“) oder Ulrich Peltzer („Teil der Lösung“), sondern zum Beispiel auch die von Sherko Fatah, der in „Das dunkle Schiff“ die Geschichte eines Jungen erzählt, der in die Fänge fundamentalistischer Gotteskrieger gerät; Bernhard Schlink, der in seinem Roman „Das Wochenende“ noch einmal den generationstypischen Hinterlassenschaften der RAF nachspürt, oder Lukas Bärfuß, der mit „Hundert Tage“ einen Roman über den Völkermord in Ruanda geschrieben hat.

Anscheinend bewegt sich da wirklich etwas – wenn man bedenkt, dass selbst ein professioneller Skeptiker wie der „Zeit“-Literaturchef Ulrich Greiner zumindest in seiner Eigenschaft als Juryvorsitzender des Leipziger Buchpreises von einer „Repolitisierung der Literatur“ spricht. Wobei sofort das branchentypische Gehacke einsetzt: Nö, was für ein Quatsch, ist gar nicht politisch, Romane mit Politikern als Hauptfiguren sind noch lange nicht politisch, wie etwa ausgerechnet in der „Zeit“ messerscharf analysiert wurde.

Trends sind eben auch dazu da, dass sie entlarvt werden oder man sich über sie lustig macht (ja, was ist eigentlich mit der Liebe, ist sie nicht ein Dauertrend in der Literatur?). Das allerdings ändert nichts daran, dass die deutschsprachige Gegenwartsliteratur im Moment so lebendig wie lange nicht ist, dass sie trotz Jenny Erpenbeck oder Julia Franck vieles ist, nur keine „Vergangenheitsliteratur von heute“, wie die „FAZ“ kürzlich in einem Trendtext ausgemacht haben wollte. Selbst Michael Kumpfmüller kann sich da trösten, nachdem er in Gesprächen mit Wolfgang Schäuble, Gerhart Baum und Joschka Fischer viel Kritik einstecken musste, weil sein Romanheld so sei, wie sich „Klein-Fritzchen einen Politiker vorstelle“ (Schäuble) und jedenfalls keine Figur, bei der man erkennen könne, was sie wolle, warum sie Politik mache und welchen Ethos sie habe (Baum, Fischer).

Er, Kumpfmüller, hat in diesen Gesprächen aber doch bewirkt, dass die Herren über sich nachdachten, dass sie vermittelten, nicht ausschließlich politikbesessen zu sein, sondern mit ihrer Politik etwas bewegen wollen, dass sie nicht alle Möllemanns und Barschels sind, also Politiker aus Freude an der Macht und am Beruf des Politikers, sondern Ziele und Konzepte verfolgen und für etwas einstehen. Über diesen Umweg ist „Nachricht an alle“ sogar ein Roman wider die Politikverdrossenheit. Da schaut man vielleicht auch bei der nächsten Anne-Will- oder Maybrit-Illner-Runde mal wieder genauer hin.

Zu was Literatur nicht alles in der Lage ist! Gerrit Bartels

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