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Kultur: Alles, was fleucht und flirrt

KLASSIK

Wenn schon Naturlaut, mag Kent Nagano gedacht haben, dann den Mikrokosmos der Tierwelt. Béla Bartóks 3. Klavierkonzert ist an diesem Abend in der Philharmonie ein lichtes Aquarell, bevölkert von allem, was da fleucht und flirrt, lauter kleine, feine Gestalten. Eine Frühlingserzählung, in die Pierre-Laurent Aimard am Klavier mit schwerelos fliegenden Fingern einstimmt, zu zartfühlend fast sein Anschlag. Und weil das Deutsche Symphonie Orchester mit seinen bewährten Präzisionsinstrumenten bereits Anton Weberns Sechs Stücke für Orchester auf die sympathisch leichte Schulter genommen hat, bangt die Zuhörerin um die Fortsetzung des Programms. Was soll bei soviel Licht und Luft die Wucht von Strawinskys „Sacre du Printemps“?

Aber Nagano komponiert auch dieses Konzert zum stimmigen Ganzen und baut das Scharnier vom Impressionismus zur Archaik, von der Pastorale zum Opfergang bereits in Bartóks Mittelsatz, das Adagio religioso ein. Immer wieder mündet dessen Choralmelodie in die hauchdünne Textur eines Trillers: Die Musik erodiert, bis der Auflösungsprozess in sehnsüchtige Beschwörung umschlägt. Verweile doch! Strawinskys Tonrepetitionen, seine stampfenden Rhythmen wollen nichts anderes. Die Explosion folgt der Implosion des Melos: Jeder Ton eine Provokation, der den nächsten aus der Reserve lockt.

Man hat „Sacre“ gewiss schon wilder und wütender gehört, Nagano dirigiert lieber mit hellwachem Verstand: als kriegerische Auseinandersetzung um jene Empfindsamkeit, die Webern und Bartók noch bewahrten. Das Orchester einmal mehr in Höchstform: Wie in Bernstein eingeschlossen die schönen Stellen, das klagende Fagott zu Beginn, die paar kostbaren Flötentöne vor dem finalen Paukenschlag. Diese Musik endet nicht, sie wird mit Gewalt zerstört.

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