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Kultur: Alles wird Wurst

Beim Berliner Festival „Tanz im August“ trifft Michael Laub auf Andersen – und zwei Bulgaren lassen Luft entweichen

Das Internationale Tanzfest Berlin hat ein großartiges Publikum. Nirgendwo, scheint es, finden Menschen mit weniger Vorurteilen zusammen, so freundlich, neugierig und offen. Dazu viele Körperkünstler, die dezent auftreten, um Kollegen nicht auf die Füße zu treten. Für Choreografen muss sich ein Auftritt beim „Tanz im August“ anfühlen, wie ein Sprung vom Beckenrand ins Daunenbett: weich, wohlig, warm. Aber nicht gerade aufregend. Nach 15 gemeinsamen Jahren ist die Konfliktbereitschaft weit unter den Dax gefallen. Und man beginnt die Freundlichkeit des Publikums zu fürchten. Spätestens, wenn es Michael Laub nach seinem kaltherzig zusammen gehauenen „H. C. Andersen Project“ einfach so lange in Applaus einwickelt, bis die Erinnerung an den Abend darunter verschwunden ist. Provokationen von gestern schlagen im Hebbel- Theater in die Watte von heute. Lautlos, alle Energie absorbierend.

Dabei hätte Laubs Arbeit Widerstand verdient. Im Vorfeld vom 200. Geburtstag des Märchendichter Hans Christian Andersen konzipiert, wird sie wie ihr zweifelhafter Held um die Welt gehen, eingespeist in den kulturellen Softwareaustausch. Laub, ein Revolutionär der schnellen Schnitte durch Biografien, Bühnentechniken und literarische Vorlagen, hat seinen in den Achtzigen geschärften Skalpell gegen ein solides Ausbeinmesser eingetauscht. Das Ausschlachten hat im Werk des Belgiers den Drang nach Erkenntnis überholt. Alles wird irgendwie Wurst. Nun tritt eben Andersen seinen Weg in die perfekt präsentierte Aufschnittware an. Mitleid mit dem gequälten Märchenkönig (der eigentlich Tänzer werden wollte!) ist hier fehl am Platz. Auch sein „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ appelliert in Michael Laubs Interpretation nur an Fluchtgefühle. Nackt, zitternd, hysterisch heulend sagt Hidigunn Eydfinsdottir den Text auf. Nicht zum Aushalten - und sogleich von leer drehenden Bewegungskulturen hinweg gespült.

Nebenan, im Theater am Halleschen Ufer, gastieren zwei Produktionen aus Bukarest, die zumindest die Trostlosigkeit des Auf-der-Stelle-Stehens nicht verschweigen. Manuel Pelmus lässt in „Punct Fix“ drei Akteure auf Rollen von Luftpolsterfolie agieren. Dazu dürfen sie Schwämme drücken, Papier falten und Gummi dehnen. Hin und wieder entweicht die Luft knackend aus zertretenen Membranen. Gegen „Punct Fix“ war die Diskussion ums Dosenpfand richtig spannend.

Das „Solitude Project“ beweist zu nächtlicher Stunde schließlich, dass historische Dokumente und persönliche Erinnerungen keinerlei Verbindungen eingehen müssen. Obwohl ständig Filmaufnahmen von Stalin und Ceausescu auf die Protagonisten projiziert werden, wollen sie nur Herzen aus Lichterketten legen, Musikboxen aufbauen, sich selber tanzen sehen. Ein Hauch von traurigem Widerstand kondensiert am Applaus. Und wird als Schweißperle weggewischt.

„The H. C. Andersen Project“, Hebbel-Theater, nochmals heute, 20 Uhr .

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