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Kultur: Alltagswunder

Fotos von Franz Roh in der Galerie Berinson

Es ist eine Badewanne, aber es ist auch ein Thron. Ein einfacher Trick genügt, um aus der jungen Frau, die sich gerade mit einem Schwamm die langen Beine säubert, eine antike Herrscherin zu machen: Man muss ihr Schwarzweißportrait bloß als Negativ abziehen. Die Augen der Dame verwandeln sich dann in rätselhafte weiße Höhlen, ihre Badekappe in eine Kopfbedeckung von Nofretetescher Anmut.

Franz Roh beobachtete um 1930 mit der Kamera ein weibliches Modell, wohl seine Freundin, bei der Toilette. Seine Fotoserie lädt die banalen Verrichtungen der Körperpflege mit Bedeutung auf. Auf einem Bild posiert die bekappte Heldin tatsächlich hamletgleich mit einer altägyptischen Skulptur. Die „Einbettung des Wunderbaren in den Alltag“, von der Alejo Carpentier sprach, als er den „Magischen Realismus“ definierte – hier wird sie eindrucksvoll vorgeführt.

Der Begriff „Magischer Realismus“ wurde, keine schlechte Pointe, von Franz Roh selbst geprägt. Sein Buch „Nach-Expressionismus“ erschien 1925 zur gleichnamigen Ausstellung in München, die bis 1926 durch zahlreiche deutsche Städte tourte. Roh, der 1890 in Apolda geboren wurde und 1919 bei Heinrich Wölfflin in München über „Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts“ promovierte, gehörte zu den markantesten Kunstkritikern der Weimarer Republik.

Als Fotograf ist er erst spät wiederentdeckt worden. In der Berliner Galerie Berinson ist jetzt eine Ausstellung mit 60 seiner Fotografien aus den frühen dreißiger Jahren zu sehen, allesamt kleinformatige Vintage Prints (6500 bis 24 000 Euro). Mit den Avantgardismen der Zwischenkriegszeit war Roh vertraut, doch mit seiner Vorliebe für statuarische Frauenkörper wirkt er fast wie ein Klassizist.

Der Sohn einer thüringischen Fabrikantenfamilie hatte aus der Theorie zur Fotografie gefunden. Bauhaus-Meister László Moholy-Nagy, dem er später den ersten Band seiner Reihe „Fotothek. Bücher der Neuen Fotografie“ widmen sollte, brachte ihn 1925 dazu, mit Photogrammen, Negativabzügen, Über- und Doppelbelichtungen zu experimentieren. Die Ausstellung zeigt surreale Urlaubsschnappschüsse, die wirken, als seien sie während Expeditionen in ein bedrohliches Schattenreich entstanden. Auf einem Negative Print steht eine Badeanzugsfrau vor Umkleidekabinen, das Muster des perforierten Filmrandes korrespondiert mit den Streifen des Sonnenschutzes. Und immer wieder durchschneiden Zäune die Bilddiagonalen, während Menschen erstarren und Skulpturen erwachen.

1933 wurde Franz Roh als Vertreter einer den Nazis verhassten „Entarteten Kunst“ einige Zeit im KZ Dachau interniert, danach hat er nicht mehr fotografiert. Stattdessen klebte er nun aus Stichen und Buchillustrationen phantastische Collagen (5500 Euro). Da feuern Robben in Kriegsschiffen Breitseiten auf gigantische, grinsende Köpfe, ein Mann ist im Profil an Ketten aufgehängt, darunter ist penibel mit Bleistift notiert: „Die Kritik machte ihn mundtot.“ Die Blätter erinnern stark an Max Ernst, der 1926 in einem Brief an Roh über seine Grafik schrieb: „Es erfolgten Entladungen und Starkströme, und je unerwarteter sich die Elemente zusammenfanden (z.B. Gewehrlauf, Käfermimikry, Spitzenrock), um so überraschender war der jeweils überspringende Funke Poesie.“

Franz Roh starb 1965 in München. Seinen Collage-Roman „Metamorphosen des Herrn Miracoloss“ konnte er nicht mehr vollenden.

Galerie Berinson, Auguststr. 22, bis 21. Juli, Di bis Sa 12-18 Uhr, Katalog 30 Euro.

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