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Kultur: Als die Bilder liegen lernten

Jenseits des Kinos: Der Hamburger Bahnhof untersucht die fruchtbare Beziehung zwischen Kunst und Film

Vielleicht hätte man die wunderbare Installation „The Paradise Institute“ von Janet Cardiff und George Bures Miller noch einmal aufbauen sollen: ein Miniaturkino, golden, plüschig, drei Zuschauerreihen nur, und vorn auf der Leinwand ein brennendes Haus. Per Soundeinspielung hat man die Geräusche des (imaginären) Sitznachbarn unmittelbar im Ohr: Popcornknistern, Flüstern, Lachen, „Schatz, hast du den Herd ausgemacht“. Auf der Biennale in Venedig 2001 war Cardiffs Arbeit ein Publikumsrenner.

Doch genau das will die Kunst nicht bewirken: im dunklen Kinosaal eingesperrt, regungslos, ausgeliefert den Unarten der lästigen Sitznachbarn, gezwungen, den Film von vorn bis hinten zu betrachten. „Ein traditionelles Theaterverhalten“ nennt es der kanadische Videokünstler Stan Douglas, einer der Kuratoren der Ausstellung „Jenseits des Kinos. Die Kunst der Projektion“, die gestern im Hamburger Bahnhof eröffnet hat. Die Kunst hingegen sei frei und viel weniger konventionell in der Rezeption, sagt Douglas: Der Besucher kommt und geht, bewegt sich frei im Raum, und auch die Projektion selbst ist häufig auf mehreren Leinwänden inszeniert, bespielt Vorder- und Rückseiten oder reagiert interaktiv auf den Betrachter. Das monotone Rattern der Filmvorführmaschine ist nur noch nostalgisches Background-Geräusch.

Es war eine Liebesgeschichte, von Anfang an. Seit auch die Kunst zu Beginn der Sechzigerjahre die Technik der Projektion entdeckte, experimentieren Künstler mit dem bewegten Bild im Raum. Und klauen sich ihre Motive dabei oft genug vom Kino, dem älteren, populäreren Bruder. Während im Film – auf der Berlinale kann man es jedes Jahr beobachten – viele Experimentalfilme schon Kunstcharakter haben, seien es die Langzeitstudien von James Benning oder Sharon Lockhard, die Erinnerungsprojekte von Jonas Mekas oder Bela Tarr, greifen Künstler umso lieber auf das universell bekannte Filmmaterial zurück. So lässt der Videokünstler Douglas Gordon Hitchcocks Kultthriller „Psycho“ in Zeitlupe abspielen – die legendäre, 24 Stunden dauernde Arbeit ist im Hamburger Bahnhof endlich einmal in voller Länge zu sehen. Auch Monica Bonvicini greift auf Filmbilder zurück, wenn sie in „Destroy she said“ Filmdiven in Szenen präsentiert, die sie hilflos, mit einer Mauer im Rücken, zeigen: Catherine Deneuve in „Ekel“, Monica Vitti in „L’Avventura“, Jeanne Moreau in „La notte“. Man hätte auch noch Candice Breitz dazunehmen können, mit ihrer Installation „Mother“, die Mutterrollen im Hollywoodfilm untersucht. Stattdessen füllt der Franzose Pierre Huyghe eine Lücke in Wim Wenders’ Highsmith-Verfilmung „Der amerikanische Freund“. Im Original von 1977 liegt zwischen dem Aufbruch von Jonathan Zimmermann (gespielt von Bruno Ganz) aus dem Hotel und seiner Ankunft im konspirativen Büro ein harter Schnitt. Huyghe lässt den (inzwischen 20 Jahre älteren) Ganz den Weg durch Paris nachholen, entlang der Seine und über die Brücke: Ganz braucht 15 Minuten.

Allein diese direkten Wechselwirkungen zwischen Kunst und Kino wären eine eigene Ausstellung wert gewesen. Doch im Hamburger Bahnhof will man mehr: die Entwicklung von 1963 bis heute beleuchten, Klassiker des Genres zeigen, und dazu noch Mega-Themen wie „Körperansichten“, „Selbstumrundungen“ und „Grenzgänge“ bebildern. Etwas zu viel, aber mit großem Schauwert.

Zeit und Raum sind die Koordinaten, zwischen denen sich die Kunst der Projektion bewegt. Raum, weil die Arbeiten zum Teil betörend schön präsentiert sind, in luxuriösen Räumen, wo man Doug Aitkens siebenteilige Installation „Eraser“ über die nach einem Vulkanausbruch verlassene Insel Montserrat bewundern kann. Keine Spur von den muffig-dunklen Kabinen, in denen Videoarbeiten im Museum so oft verschwinden. Und Zeit, weil Videokunst nun einmal viel Zeit benötigt: wolle man alle Arbeiten (ausgenommen Gordons jegliches Maß übersteigende „Psycho“-Installation) sehen, man bräuchte rund vier Stunden, erklärt Mitkurator Joachim Jäger. Und das, obwohl sich die fünf (!) Kuratoren rücksichtsvoll auf 27 (zumeist kürzere) Beiträge beschränkt haben und sich neben Leihgaben aus der Sammlung Flick bedienten. Und doch wäre es schade, würde man Eija-Liisa Ahtilas beklemmende Psychostudie „Consolation Service“ nicht in voller Länge von 23 Minuten sehen. Oder Tacita Deans zauberhafte 13-Minuten-Installation „Disappearance at Sea“. Ein Sonnenuntergang über einem Leuchtturm, die letzten Strahlen spiegeln sich in den Signallaternen, dann blitzt nur noch das Leuchtturmlicht im Dunkel, streift, wie mit zärtlichen Fingern, über die dunklen Kliffs der Küste.

Dass man erst mit Licht sieht, erklärt die Faszination an der Projektion. „Trugbilder“ nennt es Gabriele Knapstein, eine weitere Kokuratorin: schaltet man die Maschine aus, verlöscht das Bild auf der Wand. So machen Künstler wie Anthony McCall das Projektionslicht selbst sichtbar, indem sie den Raum mit Nebel füllen („Line Describing a Cone“). Bei Stan Douglas streift ein Suchscheinwerfer über den Waldrand („Ouverture“). Und Nam June Paik zerlegt das Licht einer Kerze in vielfarbige Schlieren („One Candle“).

Am Ende geht man den langen Gang in den Rieck-Hallen zurück. Hinter Türen hallen Sounds, Pipilotti Rists fröhliche Musik, Bruce Naumans bedrohliches Summen, das Hubschrauberknattern bei Stan Douglas. Die Bilder dazu flimmern im Kopf nach. Kunst braucht kein Kino.

Jenseits des Kinos. Die Kunst der Projektion. Hamburger Bahnhof, bis 25. Februar. Katalog (Hatje Cantz) 22 Euro

Christina Tilmann

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