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Kultur: Als Vorspeise Torte

Der Wiener Kurator und Kritiker Roger-Martin Buergel wird Künstlerischer Leiter der Documenta 12

Sehr viel weiter als bis zur Nennung des Namens kamen die Redner nicht. Kaum war der neue Documenta-Chef vorgestellt worden, brach über die Teilnehmer der gestrigen Pressekonferenz in Kassel ein Donnerwetter herein: Hunderte Studenten trommelten gegen Glaswände, pfiffen oder läuteten die Glocken, um gegen die Sparpolitik der hessischen Landesregierung zu protestieren. Wissenschaftsminister Udo Corts wurde unter Polizeischutz aus dem Saal geführt, nachdem ihn eine Torte getroffen hatte.

Dabei hätten die Anwesenden gerne mehr über den 41-jährigen Roger-Martin Buergel erfahren, der 2007 die Documenta 12 leiten soll. Der Wiener Kurator und Kritiker gilt als Überraschungskandidat, nachdem zuvor davon die Rede war, dass eine amerikanische Kollegin das Rennen machten würde. Mit Spannung wurde also die Entscheidung der Findungskommission erwartet, sechs internationalen Kennern zeitgenössischer Kunst, die im Februar vom Aufsichtsrat der Documenta berufen worden waren. Alle fünf Jahre wiederholt sich dieses Kunst-Konklave, bei dem mit der Wahl des Leiters nicht zuletzt auch die Ausrichtung der international bedeutendsten Ausstellung für moderne Kunst festgelegt wird.

Spätestens seit der Documenta 10 unter Leitung von Catherine David ist die Richtung klar: Die Kunst in Kassel versteht sich als politische Angelegenheit. Diese Linie dürfte durch das Votum für Roger-Martin Buergel ihre Fortsetzung erfahren. Der gebürtige Berliner wechselte Anfang der Achtzigerjahre nach Wien, wo er Kunst, Philosophie und Wirtschaft studierte, bevor er als Privatsekretär des Künstlers Hermann Nitsch und als Tutor für Film am Historischen Institut tätig war. Seit 2001 lehrt er visuelle Theorie an der Universität Lüneburg und ist seitdem auch im Norden immer wieder als Kurator aufgetreten, unter anderem 2002 im Bremer Künstlerhaus mit der witzigen Ausstellung „Das Privatleben der Spieler von Werder Bremen“.

Ein Documenta-Leiter mit Humor? Mit Sicherheit ist Buergel wie seine Vorgänger auch ein Diskursbegeisterter, wie sich an seinem Vortrag bei einem Bremer Kuratorensymposium ablesen lässt: „Ästhetische Theorie oder die Praxis eines Diskurses, der sich der Anwendung entzieht“. Ebenso steht sein Name für ein eher klassisches Interesse an Malerei. Laut Gavin Jantjes, Sprecher der Findungskommission und Leiter eines Kunstzentrums in Oslo, ist Buergel „in diesen Zeiten der beste Kandidat, um expressionistische Kunst wieder voranzubringen“.

Gewiss, vor vier Jahren gehörte Buergel zu den Koautoren einer großen Publikation über den Abstrakten Expressionismus. Aber sein Herz schlägt offensichtlich in gleichem Maß für die Theorie. Zu den Teilnehmern des Bremer Symposiums 1998 gehörte unter anderem Uta Meta Bauer, Chefin der kommenden Berlin Biennale und Co-Kuratorin der jüngsten Documenta unter Leitung von Okwui Enwezor, die von ihren Besuchern einige Diskursfestigkeit verlangte. Schon Catherine David hatte hohe Ansprüche gestellt. David wiederum gehört mit Buergel zu den Gastreferenten des Museums für Moderne Kunst in Barcelona. Womit sich der Kreis schließt: Gar so überraschend ist die Wahl Roger-Martin Buergels am Ende doch nicht.

In den kommenden beiden Jahren wird er sich mit der Künstlerauswahl beschäftigen, die von der Fachwelt mit mindestens ebenso viel Spannung erwartet wird. Tatsächlich etwas zu sehen gibt es allerdings erst in dreieinhalb Jahren: Am 16. Juni 2007 öffnet die Documenta 12 in Kassel ihre Pforten und wird wieder das Museum der hundert Tage sein. Die letzte Documenta hatte 650 000 Besucher angelockt. Auch das, die gestiegene Publikumsaufmerksamkeit, ist ein Maßstab, den Buergels Vorgänger gesetzt haben.

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