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Unzeitgemäß. Diskuswerfer Robert Harting. Foto: dapd

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Kultur: Am Rand der Gesellschaft

Männlichkeit als Problem: Hanna Rosin verkündet das Ende der Männer und den Aufstieg der Frauen.

Larissa Schuster, erfolgreiche Unternehmerin aus dem kalifornischen Clovis, wurde 2007 angeklagt, weil sie ihren Mann ermordet hatte. Über diesen Fall berichtet die amerikanische Journalistin Hanna Rosin in ihrem Bestseller „Das Ende der Männer und der Aufstieg der Frauen“: „Laut der Anklage betäubten Schuster und ein junger männlicher Komplize ihren Mann Timothy mit einem Elektroschocker und Chloroform und steckten ihn dann mit dem Kopf zuerst in ein 220-Liter-Fass. Danach schüttete Larissa Schuster Salzsäure in das Fass, um die Leiche aufzulösen.“ Der Ermordete war, wie Rosin sorgsam recherchierte, weder ein Tyrann noch ein Nichtsnutz, geschweige denn ein Vergewaltiger. Er war, im Gegenteil, ein netter Mann, Krankenpfleger, Hausmann, begeisterter Koch und ein fürsorglicher Vater. „Mr. Mom“ wurde er deshalb genannt. Das Geld in der Familie verdiente allerdings vor allem Larissa. Je erfolgreicher sie wurde, desto mehr verachtete sie ihren Mann. Gegenüber ihren Freundinnen beschimpfte sie ihn als „Schisser“. „,Du könntest nicht mal einen Hund ficken, du impotente Schwuchtel’, brüllt sie auf seine Mailbox. Timothy hatte nach Aussagen von Freunden eine Pistole unter dem Kissen seines Sofas, weil er Angst vor seiner Frau hatte.“

Bei Rosin steht diese Episode als dramatisches Beispiel für den Aufstieg der Frauen und das Ende der Männer. Diese Entwicklung zeigt sich laut Rosin in allen Bereichen der Gesellschaft – von der Kriminalitätsstatistik über Erziehung und Sozialisation bis zu den neusten Wirtschaftsdaten. Während der großen Rezession ab 2007 waren drei Viertel der 7,5 Millionen Entlassenen Männer. Insofern spricht man im Englischen auch von einer „He-Cession“ statt einer „Recession“ („Rezession“). 2009 waren in den USA zum ersten Mal in deren Geschichte mehr Frauen erwerbstätig als Männer. Bereits mehr als ein Drittel der amerikanischen Mütter sind die Haupternährer ihrer Familien. Folgt man Rosin, wird sich diese Entwicklung aufgrund des Strukturwandels der Wirtschaft noch verstärken. Industrielle Tätigkeiten, die Muskelkraft und körperliche Stärke verlangen, gehen immer mehr zurück; innovative Berufe und Dienstleistungen nehmen immer weiter zu. Letztere verlangen Teamwork, Empathie, Kommunikation und Fantasie. Dafür sind Frauen aufgrund ihrer weiblichen Sozialisation weitaus besser gerüstet als Männer mit ihrem Konkurrenz- und Leistungsdenken.

Deshalb haben Männer, die ihre traditionelle Arbeit verloren haben, kaum Chancen, eine neue Stelle zu finden. Die Konsequenz: ein drastischer Rollenwechsel. „Überall, wo ich hinkam, passten sich Paare an die neue häusliche Realität an: Die Frau zahlt die Hypothek ab. Die Frau fährt jeden Tag zur Arbeit und gibt dem Mann vorher noch schnell Anweisungen, wie er die Wäsche machen muss.“ Dort, wo Rosin an der Westküste mit ihrer Familie stets die Ferien verbringt, fällt ihr auf: im öffentlichen Leben nur noch Frauen. Keine Männer auf der Hauptstraße, keine Männer am Samstagabend auf dem Rummelplatz und auch keine Männer im Supermarkt. Die Schlussfolgerung: Das Patriarchat erodiert und ein neues Matriarchat entsteht.

Das dürfte als Diagnose allerdings etwas blauäugig sein. Die meisten Machtpositionen sind noch immer von Männern besetzt – das demonstriert nicht zuletzt die gegenwärtige Regierungsbildung in den USA. Noch gravierender ist aber die Gesetzmäßigkeit, mit der sich die männlichen Normen und Verhaltensmuster über Jahrhunderte tradiert und in den Gesellschaftsstrukturen festgesetzt haben. Darauf hat Georg Simmel schon vor mehr als hundert Jahren aufmerksam gemacht. Dieser Einwand ändert freilich nichts daran, dass Hanna Rosin ein vorzügliches Buch geschrieben hat. Angenehm ist auch ihre Empathie für beide Geschlechter; sie vermeidet jedwede Idealisierungen oder Diabolisierungen, die die gegenwärtige Sexismus-Debatte in Deutschland so eifrig wie unproduktiv transportiert. Rosin spricht auch vieles an, was bisher ignoriert oder auch tabuisiert worden ist. Dazu gehört, dass Männlichkeit – traditionell verstanden – immer mehr zu einem sozialen Problemfall wird.

„Millionen von Männern“, berichtet die „New York Times“, „Männer in der Blüte ihres Lebens zwischen 30 und 55 Jahren, haben sich dem geregelten Berufsleben entzogen. Sie lehnen Jobs ab, die sie für unter ihrer Würde halten, oder sind nicht in der Lage, Arbeit zu finden, für die sie qualifiziert sind, selbst als eine wieder wachsende Wirtschaft neue Gelegenheiten dazu bietet.“

Darauf hat Ralf Dahrendorf schon vor 25 Jahren als Tendenz hingewiesen. Aufgrund eines veralteten Männerbilds sind Jungen und Männer nicht in der Lage, sich neu zu orientieren. Stattdessen reagieren sie trotzig und verweigern sich der Familiengründung. Der vor kurzem erschienene Datenreport des Statistischen Bundesamts bestätigt, dass die Zahl allein lebender (jüngerer) Männer in den vergangenen zehn Jahren um 81 Prozent gestiegen ist.

Eine Folge, die auch Rosin drastisch beschreibt, ist die Zunahme alleinernährender, alleinerziehender Mütter. Und eine andere Folge ist die Tatsache, dass immer mehr Männer an den Rand der Gesellschaft abgedrängt werden. Die moderne Soziologie spricht in diesem Zusammenhang bereits von einem „männlichen Prekariat“, und das hat durchaus Sprengkraft für den gesellschaftlichen Konsens. Die Politik ist an dieser Entwicklung nicht unschuldig. Sie hat über vier Jahrzehnte nur Mädchen und Frauen gefördert, und das männliche Geschlecht als das angeblich starke vergessen. Gewiss war Mädchen- und Frauenförderung in den siebziger und achtziger Jahren eine Notwendigkeit, aber die Fehlleistung lag darin, dabei die Bedürfnisse von Jungen zu ignorieren und die Problemlagen von Männern nicht wahrzunehmen.

Die Antwort wäre: eine Politik für das männliche Geschlecht. Diesem „Heilmittel“ widmet sich der Band „Männerpolitik“, den Markus Theunert – kurzzeitig Männerbeauftragter der Stadt Zürich – herausgegeben hat. Im Untertitel des Buches findet sich bereits sein Programm: „Was Jungen, Männer und Väter stark macht“. Dazu werden Visionen, Forderungen und Strategien entworfen, die im Großen und Ganzen auch diskussionswürdig sind. Bemängelt werden muss, dass die gesellschaftlichen Problemlagen von Jungen und Männern allenfalls gestreift werden. Nur der Beitrag über Männer im Alter liefert eine zureichende Analyse der Realität. Der Grund dafür mag sein, dass Theunert mit einer ideologische Brille arbeitet; er versammelt in seinem Band nur Autoren, die feministisch oder zumindest profeministisch argumentieren. Kritiker der frauenfokussierten Geschlechterpolitik kommen bei ihm nicht zu Wort. Das führt dann auch zur gewissen Verweigerung, die wirklichen Probleme von Jungen und Männern ins Visier zu nehmen.

Der Autor ist Soziologe und Autor von „Was vom Manne übrig blieb. Das missachtete Geschlecht“ (Verlag Opus Magnum).

Hanna Rosin: Das Ende der Männer und der Aufstieg der Frauen. Berlin Verlag, Berlin 2013. 389 Seiten. 19,99 Euro.

Markus Theunert (Hrsg.): Männerpolitik. Was Jungen, Männer und Väter stark macht. Springer VS, Wiesbaden 2012. 445 Seiten, 29,95 Euro.

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