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Kultur: Am Rande der Egalität

Freiheit ist doch nicht nur ein Wort. Die Zukunft des Liberalismus in den Zeiten nach Möllemann

Die Freie Demokratische Partei zahlt jetzt die Zeche dafür, dass sie sich den Ressentiments und Launen eines politischen Glücksritters ausgeliefert hat. Auch wenn Jürgen W. Möllemann nun endlich politisch ausgespielt haben sollte, sind die Probleme der Liberalen damit noch längst nicht ausgestanden. Denn Möllemanns Umtriebe waren nur das drastischste Symptom einer existenziellen Krise des organisierten politischen Liberalismus in Deutschland.

Die Misere der FDP: Sie hat jeglicher geistige Ausstrahlung in die Gesellschaft hinein verloren – indem sie es versäumte, einen liberalen Zukunftsentwurf für die post-industrielle Gesellschaft zu entwickeln und in ein zusammenhängendes Reformkonzept umzusetzen. In den Debatten über die innere Sicherheit oder das Zuwanderungsgesetz kam die FDP als klassische Bürgerrechtspartei kaum noch vor.

Ihr fehlt die Aura der Progressivität von Rot-Grün mit ihrer Parole von der „ökologisch-sozialen Modernisierung“. Das ist umso verblüffender, als SPD und Grüne in der Praxis verstärkt auf traditionelle etatistische Rezepte setzen, die darauf zielen, den materiellen Mangel per Umverteilung möglichst „gerecht“ auf die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu verteilen. Die Ansätze zur Entstaatlichung und zur Verlagerung von Entscheidungsprozessen in die Verantwortung einer selbsttätigen Bürgergesellschaft, wie sie in der ersten Phase von Schröders Kanzlerschaft propagiert und von ökoliberalen Kräften bei den Grünen auf dem Papier weiterentwickelt wurden – von diesen Ansätzen ist heute kaum noch die Rede.

SPD und Grüne haben dieses klassische liberale Themenfeld wieder geräumt, die FDP aber scheint nicht in der Lage zu sein, es nun ihrerseits zu besetzen. Dabei ist Westerwelles Linie, die Liberalen als unabhängige Alternative zu den etatistischen Volksparteien zu präsentieren, im Grundsatz richtig. Doch das marktschreierische „Projekt 18“ hat sich als ungeeignet erwiesen. Beim Propagieren dieser illusionären Zielmarke glich der FDP-Vorsitzende einem Motivationsguru, der einen müden Haufen mittlerer Angestellten in künstliche Ekstase zu versetzen versucht, indem er ihnen einhämmert, sie könnten alles schaffen und die Größten sein, wenn sie nur fest daran glaubten und es jeden Tag laut vor sich hin sagten.

Der inhaltliche Leerlauf der FDP erreichte so gleichsam seinen delirierenden Höhepunkt. Die Liberalen versuchten, sich als die authentischen Repräsentanten von Zukunftsoptimismus und jugendlicher Lebensfreude anzupreisen. Hinter dieser Maskerade steckt aber eine Partei, der in weiten Teilen die aktive Mitgliedschaft und damit der gesellschaftliche Unterbau weggebrochen ist – eine Partei, die sich sozial im Wesentlichen auf klassisches mittelständischen Kleinunternehmertum und Freiberufler (namentlich Juristen) stützt. In dieser Klientel herrschen indes keineswegs Zuversicht und gute Laune vor, sondern soziale Abstiegsangst und wachsende Verbitterung. Sicherlich hat die Partei in letzter Zeit auch Zulauf von jungen Leuten erfahren, die sich in den vergleichweise offenen Strukturen der FDP größere Gestaltungsspielräume erhoffen als in den anderen Parteien. Doch diese Impulse haben Westerwelle & Co. inhaltlich nie bündeln können.

Die FDP gleicht einer leeren Fläche, auf die verschiedenste Ansprüche projiziert werden. Dort sammeln sich Unzufriedene, die dem herrschenden sozialstaatlichen Konsenssystem die Loyalität aufkündigen.

Wenn solche Unzufriedenheit aber nicht in ein positives Zukunftsprojekt gewendet wird, droht sie in diffuses Ressentiment umzuschlagen. Das ist der Hintergrund für die Anfälligkeit der FDP für populistische Affekte. Es entsteht die spezifische Variante eines „liberalistischen“ Populismus, zu dessen Lautsprecher sich Jürgen Möllemann aufgeschwungen hat. Diese Richtung versucht, das Pathos der Befreiung von staatlicher Autokratie, das den Liberalismus historisch stark machte, als Mimikry wieder aufleben zu lassen. Auf diese Weise wird etwa die angeblich tabuisierte Kritik an Israel zum Fanal der Gewissensfreiheit stilisiert. Nach dem gleichen Muster wird die Forderung nach Steuersenkung und nach dem Rückzug des Staates aus der Wirtschaft als Aufstand des grundehrlichen dritten Standes gegen die Privilegien einer schmarotzenden Feudalaristokratie, sprich: Sozialstaatsbürokratie inszeniert.

Gerechtigkeit und Globalisierung

Doch das Liebäugeln mit dem Ressentiment, besonders mit dem antisemitischen, ist für eine liberale Partei Gift. Antisemitismus und Antiliberalismus waren in Deutschland historisch stets zwei Seiten derselben Medaille. Eine liberale Partei, die sich dem antijüdischen Ressentiment öffnet, zerstört damit ihre historischen Existenzgrundlagen. Und ein liberales Entstaatlichungsprogramm müsste viel mehr umfassen als nur das Versprechen, durch Steuersenkungen dafür zu sorgen, dass der Einzelne mehr Geld in der eigenen Tasche behält. Es müsste überzeugende, mitreißende Modelle vorweisen, wie staatliche Aufgaben durch Eigeninitiativen der Bürger übernommen werden können.

Das beinhaltet nicht zuletzt die Förderung eines Ethos privaten Mäzenatentums im sozialen und kulturellen Bereich. Berlin etwa böte sich für ein solches bürgerschaftliches Projekt als Testfeld an: Der Bankrott der öffentlichen Hand macht es zwingend, dass Bürger auf allen Ebenen zur Selbsthilfe greifen. Warum sollten nicht nur Kunsthallen, sondern auch Schwimmbäder oder Kindertagesstätten von privatem Geld gefördert und von gemeinsam interessierten Bürgern selbst verwaltet werden? Dazu müsste freilich von der Politik ein Klima geschaffen werden, in dem solches Engagement belohnt wird. Die Zeichen weisen derzeit in eine andere Richtung - wie Finanzminister Eichels Plan belegt, Spenden von Unternehmen im Kulturbereich neu zu besteuern.

Die Aussichten für den politischen Liberalismus, wieder zu einer erkennbaren Kraft innerhalb der Gesellschaft zu werden, indem er sich zur Speerspitze eines umfassenden Bewusstseinswandel macht, sind nicht schlecht. Die Idee, staatliche Rundumversorgung schrittweise durch individuelle und gemeinschaftliche Initiative zu ersetzen, kommt dem Lebensgefühl auch der jungen Generation entgegen. Nach den Erkenntnissen der Shell-Jugendstudie 2002 verweigern sich große Teile der 14- bis 25-Jährigen den traditionellen Formen der Politik, die auf weltanschaulichen Bekenntnissen und der Unterordnung unter vorgefertigte Hierarchien beruhen.

Die Bereitschaft der Jugendlichen zu gemeinnützigem Engagement ist aber groß, wenn sich damit die Gewissheit verbindet, in einem selbst gewählten, überschaubaren Bereich nach eigenen Regeln handeln zu können. Zahllose größere und kleinere, meist temporäre jugendliche Selbstinitiativen zeugen von diesem Paradigmenwechsel hin zu einer radikalen Individualisierung politischen und gesellschaftlichen Engagements. Eine liberale Partei wäre der geborene Fürsprecher und Förderer dieser auch für die künftige Struktur des Parteiensystems richtungsweisenden Entwicklung.

Für ein solches liberales Entstaatlichungsprojekt müsste die FDP sich an die wirtschaftlichen, sozialen und intellellektuellen Eliten des Landes wenden und sie für ein Aufbruchskonzept zu begeistern versuchen, das die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung mit dem Prinzip der individuellen Selbstbestimmung verbindet. Es macht einen gewichtigen Teil des Dauerelends der FDP aus, dass sie mit einem verkümmerten Elitenbegriff operiert. Eliten haben es an sich, über die bloße Möglichkeit ihrer materiellen Besserstellung hinaus denken zu wollen. Die Belohnung für ihren Leistungswillen messen sie nicht nur in Euro und Cent, sondern im Ausmaß der Anerkennung, die ihnen von der Gesellschaft zu Teil wird.

Eine liberale Partei fände hier ein beträchtliches Potenzial, wäre sie willens und fähig, ihm ein politisches Ethos zu verleihen. Die Freien Demokraten sollten sich daran erinnern, dass der Wirtschaftsliberalismus, wie ihn seine bedeutendsten Lehrer von Adam Smith bis Friedrich Hayek verstanden, in erster Linie eine Ethik der selbst verantworteten Freiheit ist. Diese ethische Seite des Wirtschaftsliberalismus gewinnt angesichts der Probleme der Globalisierung neue Aktualität: Der Weg zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung führt über mehr, nicht weniger Marktfreiheit.

Handelsschranken und freie Märkte

Das größte Hindernis für die Teilhabe ärmerer Länder an der Globalisierung besteht heute im staatlichen Protektionismus der reichen Industrieländer mit ihren hoch subventionierten Volkswirtschaften. Wären Globalisierungskritiker also konsequent, müssten sie nicht neuen Handelsschranken das Wort reden, sondern entschiedene Marktliberale sein. Bei dieser Frage verwickeln sich nicht zuletzt die Grünen in Widersprüche: Einerseits fordern sie, die westlichen Märkte für Produkte aus der Dritten Welt zu öffnen. Auf der anderen Seite aber schrauben sie mit ihrer Verbraucherschutzpolitik die Qualitätsstandards für Lebensmittelimporte in für diese Länder unerreichbare Höhen.

Würden die Liberalen solche Fragen in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen, könnten sie das Thema Wirtschaftsfreiheit mit dem der globalen Gerechtigkeit verbinden und ihre politischen Hauptkonkurrenten in Verlegenheit bringen. Von der gegenwärtigen FDP-Führung eine solche Erneuerung des politischen Liberalismus zu erwarten, mag utopisch sein. Vielleicht finden sich unter den jüngeren Mitgliedern Köpfe, die diese Herausforderung anzunehmen bereit sind.

Richard Herzinger

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