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Die Skyline der Innenstadt von Singapur.

© Wallace Woon

Internationales Literaturfestival Berlin: Amanda Lee Koe blickt in die Seele Singapurs

Ihre Geschichten haben es in sich: Amanda Lee Koe liest auf dem Literaturfestival aus ihrem preisgekrönten und bewegenden Erzählband „Ministerium für öffentliche Erregung“.

„Mein wunderbarer Waschsalon“ heißt – nach einem Theaterstück von Hanif Kureishi – ein unvergessliches Filmdrama von Stephen Frears, das im heruntergekommenen Londoner Süden der Thatcher-Ära spielt. Die beiläufige Romantik, die einem westlichen Waschsalon innewohnt, in dem man sich wie bei Frears vor drehenden Jeans, Shirts und Slips entspannt näherkommt, ist asiatischen Ländern, wo solche Salons eine seltene Einrichtung sind, fremd. Zwar haben die einsamen Gäste auch hier das Bedürfnis, miteinander ins Gespräch zu kommen, doch so einfach ist das nicht.

So jedenfalls schildert es Amanda Lee Koe in ihrer Erzählung „Waschsalon“, mit der sie sich auf dem Internationalen Literaturfestival Berlin vorstellte und ein bewegtes Publikum hinterließ. Denn die Geschichten der in Singapur und New York lebenden Autorin haben es in sich. Ihr Waschsalon, in dem die Randexistenzen ihres südostasiatischen Inselstadtstaats aufeinandertreffen, zwei Katzen bemuttern und Karaoke singen, entpuppt sich als Ort eines soziologischen Experiments, bei dem am Ende Studienleiter und Probanden die Rollen tauschen.

Was passiert in einer Gesellschaft, in der alles nach oben strebt?

Die Metropole ohne Hinterland mit den höchsten Lebenshaltungskosten der Welt ist der Fixpunkt ihrer Erzählungen mit dem Titel „Ministerium für öffentliche Erregung“ (aus dem Englischen von Zoë Beck, CulturBooks, Hamburg, 240 Seiten, 22 €), die jüngst auf der Shortlist zum Internationalen Literaturpreis Berlin standen und 2014 auch in ihrer Heimat preisgekrönt wurden. „Ministry of Moral Panic“, wie es im englischen Original heißt, verweist, wie Koe erklärt, auf den bürokratischen Stil, mit dem ganz Singapur unter Kontrolle gehalten wird.

Ansonsten tritt in diesem Schmelztiegel, in dem Chinesen, Malaien, Inder und Briten zusammenleben, unterschiedlichstes Personal auf. Versprengte wie eine wenig hübsche Büroangestellte, die mit einem attraktiven Kioskverkäufer anbandelt, mittellose Musiker, Secondhand-Existenzen, oder Homosexuelle, die im Einparteienstaat Singapur laut Verbotsgesetz eigentlich gar nicht in Erscheinung treten dürfen.

Manchmal sind es auch halbe Fabelwesen wie der Ladyboy mit einem Schwanz „mindestens zehn Zentimeter lang, silbergrau, an der gerippten Schwanzspitze mit einem Hauch Gelb, feucht und doch schuppig“. Was, fragt sich die 29-Jährige, passiert in einer Gesellschaft, in der alles phallisch nach oben strebt, die sich ständig erneuern muss und alle Vergangenheit verleugnet? Für ihr Alter sind Koes tiefe Blicke in die Seele Singapurs enorm. Empathie und Humor lautet ihre Zauberformel. Und manchmal findet sich auch eine erstaunliche Härte.

Ihre insgesamt 16 Erzählungen beweisen, dass Singapur, ohne eigene Traditionen, auch eine ästhetische Erneuerungslandschaft ist. Amanda Lee Koe, die beim „Esquire Singapore“ die Literatur betreut und Chefredakteurin des „Cinematheque Quarterly“ ist, experimentiert mit der Erzählform, streut in den englischen Text malayische und chinesische Dialektsprengsel ein. Sie habe sich schon immer ein bisschen alt gefühlt, sagt sie. Ob sich ihr Ton ändert, wenn sie wirklich einmal älter ist?

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