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Kultur: American Academy: Maulwurfshügel

Mitten in der Nacht weckt ihn das Rascheln der Mäuse. "Ich war gänzlich hilflos", schreibt Kafka an Felix Weltsch, "nirgends in meinem ganzen Wesen ein Halt, aufstehn, anzünden wagte ich nicht, das Einzige waren ein paar Schreie, mit denen ich sie einzuschüchtern versuchte.

Mitten in der Nacht weckt ihn das Rascheln der Mäuse. "Ich war gänzlich hilflos", schreibt Kafka an Felix Weltsch, "nirgends in meinem ganzen Wesen ein Halt, aufstehn, anzünden wagte ich nicht, das Einzige waren ein paar Schreie, mit denen ich sie einzuschüchtern versuchte." Kafkas Mäusefurcht, sagt Mark Harman, ist kein Fall für den Therapeuten, sondern für den Literaturwissenschaftler. Denn der gesamte "Human Zoo" in Kafkas Werk, so der amerikanische Germanist und Fellow an der Berliner American Academy, mache erst Sinn, wenn er als biographischer Kommentar gelesen werde. Harman treibt der faszinierende Gedanke um, dass es sich bei Kafkas Tierwelt um eine systematische, dennoch aufzulösende Verschlüsselung handelt. Dass der Hund, der in Kafkas Brief an Felice Bauer ihre Hand besinnungslos ableckt, ein Vorbote der Auflösung ihrer Verlobung ist: Denn Tiere bei Kafka, so Harman, sind immer Junggesellen. Harman präsentierte in seiner "Berlin Prize Lecture" Vignetten eines solchen Tier-Transfers: der Schriftsteller als Maulwurf, der Sohn als Affe seiner Eltern. Für Kafka, den Vegetarier und Enkel eines Metzgers, sei die Tierrolle nicht selten auch eine Flucht aus dem Unwohlsein mit dem eigenen Körper gewesen.

Gemeinhin missbilligt die Literaturwisenschaft die Auflösung des Metaphorischen im Biographischen, zumal Harman kaum einen methodischen Unterschied zwischen literarischen und autobiographischen Texten macht. Doch Kafka selbst schien sich zumindst der Komik einer solch dokumentarischen Lesart durchaus bewusst gewesen zu sein. Kaum war die "Verwandlung" erschienen, fragte er Bekannte in Prag: "Haben Sie schon gehört, was sich in unserer Wohnung abspielt?" Hätte Kafka eine Autobiographie geschrieben, meint Harman, er hätte sie "Mein Leben als Tier" genannt. Auf tschechisch war es das ohnehin schon: "Kavka" ist der Name der Dohle. Doch wie sieht das Leben eines Tieres aus? Aus dem Lungensanatorium schreibt Kafka an Oskar Baum: "Sonstige Neuigkeiten: Ein Gans ist totgestopft, der Fuchs hat die Räude, die Ziegen waren schon beim Bock und das Schwein soll nächstens glattweg abgeschlachtet werden. Das ist ein gedrängtes Bild des Leben und Sterben."

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