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Kultur: Amerikas neue Elite: Aus Politik ist Lifestyle geworden

Donald Trump war einer der reichsten Amerikaner. Er trug Anzüge mit Goldknöpfen, fuhr die teuersten Autos, baute pompöse Hochhäuser und spielte den modernen Midas.

Donald Trump war einer der reichsten Amerikaner. Er trug Anzüge mit Goldknöpfen, fuhr die teuersten Autos, baute pompöse Hochhäuser und spielte den modernen Midas. Trump wurde zum Popstar des Kapitalismus der 80er Jahre: omnipräsent in Magazinen und TV-Shows. Seine Ratgeber "So werde ich Millionär" verkauften sich hunderttausendfach, und die Amerikaner träumten davon, am nächsten Morgen als Donald aufzuwachen. Heute träumt kaum noch jemand von Mister Trump. Als er sich im Frühjahr als Präsidentschaftskandidat bei den diesjährigen Wahlen präsentieren wollte, lachten ihn die Leute nur aus. Was ist geschehen?

Am Leben des Society-Löwen hat sich nicht viel geändert. Trotz einiger Finanzskandale baut er weiter hohe Häuser, tingelt mit seinen Playmates von Party zu Party und trägt noch immer Goldknöpfe. Schuld an seiner geschwundenen Popularität aber sind die Bobos. Bobos sind Menschen wie Bill Gates, Al Gore, Lou Reed oder der erfolgreiche Professor von nebenan. Bobos sind "Bourgeoise Bohemians": jene gesellschaftliche Schicht, die nach einer These von David Brooks Mitte der 90er Jahre die politische, wirtschaftliche und vor allem kulturelle Hegemonie in den USA erlangt hat.

Brooks, leitender Redakteur des konservativen "Weekly Standard" und Autor der "New York Times", von "Newsweek" und des "New Yorker", beschreibt in seinem kürzlich im Verlag Simon & Schuster erschienenem Buch "Bobos in Paradise" äußerst witzig und detailgenau die hybride Kultur dieser neuen Upper Class. Bobos, das sind Angehörige einer Generation, die nicht nur durch die neoliberalen, Reagan-bourgeoisen 80er Jahre, sondern auch durch die kulturelle Revolution der "bohemian sixties" geprägt wurde.

Früher Geld, heute Bildung

David Brooks hat mit seinem Buch einen Teil der amerikanischen Gesellschaft neu definiert. Er zählt sich selbst zu den Bobos und benutzt zur Beobachtung seiner Mitmenschen eine Methode, die er als "comic sociology" bezeichnet. Die Methode bescherte ihm einen Bestsellererfolg. "Bobos in Paradise" ist, vereinfacht gesagt, für die amerikanische Toskana-Fraktion, was für die westdeutschen Nutella-Twens die "Generation Golf" ist. Bei Pierre Bourdieus "Die feinen Unterschiede" anknüpfend, beschreibt Brooks, wie in den letzten Jahrzehnten die Bedeutung von akademischem, kulturellem und symbolischem Kapital zugenommen hat. Während früher Herkunft und Vermögen die Oberschicht definierten und die antiintellektuellen WASPs, die White Anglo Saxon Protestants, fast uneingeschränkt herrschten, so spielt in der Informationsgesellschaft das Studium an der richtigen Universität, die Fähigkeit, kreativ zu wirken, und der richtige Lebens- und Konsumstil eine entscheidende Rolle. Den Einzug der Bobos ins Establishment hat Brooks anhand der Hochzeitsanzeigen in der "New York Times" beobachtet. Während dort noch in den 50er Jahren bei der Vermählungen der höheren Töchter und Söhne deren Stammbaum bis in die letzten Jahrhunderte verfolgt wurde, stehen heute College- und Universitäts-Abschlüsse sowie die berufliche Karriere im Vordergrund. Das Old Money wurde durch eine Bildungselite abgelöst, nicht mehr nur Familiennamen, sondern die Schulnamen machen Eindruck: Dartmouth, Yale, Stanford.

In diesen Institutionen tummelten sich in den sechzigern die "bohemians". Die Rebellen und Hippies. Etwas verspätet, nachdem sie die Reaganites in den 80er Jahren abgewettert hatten, schafften sie den Karrieresprung. Die politischen Kanten aus den wilden Jugendjahren haben sich die Bobos abgewetzt, ihre alternative Kultur jedoch zum Teil beibehalten und sogar erfolgreich kommerzialisiert. In den reichen Suburbs, die noch vor wenigen Jahren als Espresso-Wüsten verschrien waren, findet man heute Dutzende von Cafe-Oasen, die mit Kerouac Zitaten für ihre gemütlichen Sofas und exotischen Kaffeesorten werben. In jedem Supermarkt findet sich jetzt die Eiscreme von Ben & Jerry, ein Produkt, das für die Geschichte der Bobos steht. Im Staate Vermont, dem amerikanischen Mekka für Aussteiger und grüne Bildungsbürger, gründeten die Hippies Ben und Jerry eine kleine Fabrik und produzierten aus ökologisch kontrollierten Zutaten Speiseeis. Die Eissorten erinnern an psychedelische Musik und halluzinogene Drogen. Ben & Jerry ist inzwischen ein multinationaler Konzern mit Milliardenumsatz und transportiert das teure Alternativ-Eis mit auf Alt getrimmten Trucks in die Gefrierfächer aller wohlhabenden Bobos.

"Bobos in Pardise" beschreibt amüsant wie sich nach jahrhundertlangem "Kulturkampf" zwischen Boheme und Bourgeoisie nun eine Mischkultur mit neuen Regeln und Codes entwickelt. Denn die subkulturellen Kapitalisten des Bobo-Establishments stehen vor alltäglichen Problemen: Wie können sie den immer größer werdenden Reichtum finanziell korrekt verjubeln? Mit Pelzmänteln, Motoryachten und Sportwagen würde man sich ins gesellschaftliche Aus manövrieren. So verschwendet man das schöne Geld für Güter, die irgendwie nützlich wirken und damit ihren Preis rechtfertigen. Obwohl sich die meisten Bobos nicht als Sherpas im Himalaya verdingen, gelten hochgebirgstaugliche Goretexjacken für 500 Dollar als sinnvolle und bescheidene Anschaffung. Bei einer Einladung zum Dinner darf man nicht mehr mit Schmuck und Designermode protzen, dafür aber mit der eigenen Küche. Laut Brooks gleicht diese im durchschnittlichem Bobo-Haushalt einem Nato-Hangar: sechsflammige Herde mit raketenähnlicher Verbrennungsleistung, Öfen, in denen man Bisons grillen könnte, und komplexe Gefrieranlagen, die zur Kühlung auch von Atomreaktoren taugen würden.

Auch Sados haben Vereinskultur

Die gebildete Elite verabscheut die Glätte der verdrängten Yuppies: Statt mit poliertem Marmor, schwarz lackierten Möbeln und feiner Seide umgibt man sich mit Terrakotta, unbehandeltem Holz und Leinen. Alles muß eine gewisse Textur aufweisen, denn Rauheit verspricht Authentizität und Solidität. Auch der Natursaft und das Bier aus der kleinen Öko-Brauerei würde den Bobos nicht so gut munden, wenn beide nicht deutliche Sedimente in ihren Gläsern hinterließen. Damit das Shoppen wie das Konsumieren derart zum Akt der Selbsterfahrung geraten kann, garantiert Volvo die Seele der Autoinsassen zu bewahren, und Rowenta wirbt mit einem "Feng Shui der Falten" für seine Bügeleisen. So wie bei der Wahl der Waren geht es für die Bobos auch bei Vergnügen und Lust vor allem um Erbaulichkeit und Nutzen. Parties sind nicht mehr dazu da, zu saufen oder anzumachen, sondern um sich in kultivierten Gesprächen weiterzubilden oder wenigstens an der Karriere zu basteln. Die Free-Love-Bewegung der Hippies wurde vom Mainstream absorbiert und befriedet. Brooks berichtet, dass sich nun auch die Sadomasochisten in Arizona in einer politisch korrekten Vereinstruktur organisiert haben. Die in den wilden 60er Jahren verteufelte puritanische Moral hat sich über die Hintertür der "gesunden Lebensweise" wieder eingeschlichen. Die Bobos führen ein diszipliniertes Leben der Selbstbeherrschung, das sie sich nicht mehr vom Seelsorger, sondern von ihrem Körper diktieren lassen.

Individualismus und Freiheit sind der politisch kleinste gemeinsame Nenner der neuen Oberschicht. Beide Schlagwörter standen auf den Agendas der Bourgeoisie wie Boheme: Die einen wollten vor allem die freie Wirtschaft, die anderen eine Kultur der Freiheit und die Freiheit der Individuen. Heraus kam die Clinton-Regierung, die mit dem Programm antrat, das alte Rechts/Links-Schema zu beseitigen. Brooks Bobos agieren politisch am liebsten auf lokaler Ebene und halten ihre "communities" bürgerinitiativ unter Kontrolle. Sie bilden eine aufgeklärt wertkonservative "Neue Mitte".

Mit seiner Analyse der Bobo-Meritokratie hat Brooks eine Debatte in den amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften losgetreten: Vom "New Yorker" bis zur "Washington Post" beteiligen sich alle diesen Sommer an der heiteren Kultursoziologie, wie sie Paul Fussel mit seinem Buch "Class" bereits in den 80er Jahren betrieb. So teilte die "New York Times" unlängst auf der ersten Seite die Bobos der reichen Vororte in zwei Unterklassen auf: in die sozial aufgeschlosseneren Minivan-Besitzer auf der einen Seite und die schutzbedürftigen Fahrer der - auch unter dem euphemistischen Begriff "Sport Utility Vehicle" firmierenden - Geländewagen auf der anderen Seite. Die albernen, weil überlangen und wendeträgen Stretch Limousinen von Donald Trump wollen heute jedenfalls nur noch Nostalgiker fahren.

David Brooks prophezeit, dass sich Amerika auf eine lange Herrschaft der netten Bobo-Elite einrichten darf. Täglich verlassen neue Bobo-Töchter und Bobo-Söhne die renommierten Universitäten des Landes, um in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten. Die 27-jährige Deborah Smith ist eine von ihnen. Eben hat die New Yorker Jurastudentin ihr letztes Examen bestanden und wird nun für eine große Kanzlei arbeiten. Den Arbeitsvertrag hat sie vor einem Jahr unterschrieben, schon im ersten Jahr wird sie mehr verdienen als Gerhard Schröder. Trotzdem wird sie nicht so leben wie die Yuppies in den Romanen von Bret Easton Ellis und Tom Wolfe, sondern weiter im Urlaub durch Afrika trampen, Arthur Miller oder Don Delillo statt des "Wall Street Journals" lesen und dabei den revolutionären Songs von Manu Chao lauschen. Wenn sie sich in ein paar Jahren genug Geld zusammengespart hat, will sie sich auch nach einem neuen Job umschauen: Professorin an einer spannenden Universität, Redakteurin einer wichtigen Zeitung oder vielleicht Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika. Why not.

Tobias Timm

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