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Andreas Greiner im Atelier vor dem vergrößerten Knochenmodell seines Masthahns Heinrich.

© Mike Wolff

Andreas Greiner in der Berlinischen Galerie: Monument für ein Masthuhn

Was kann die Kunst in der Gesellschaft ausrichten? Der Künstler und ehemalige Medizinstudent Andreas Greiner sucht Antworten in der Wissenschaft.

Vor dem Skelett steht ein Kasten mit leeren Club-Mate-Flaschen. Gesundes Aufputschen, das passt zu einem Künstler, der in seinem Atelier gerade ein Masthähnchen von der Größe eines Flugsauriers nachbaut. Denn auch wenn Andreas Greiner sein sieben Meter hohes Objekt ein „Monument für die 308“ nennt, feiert die Plastik keineswegs die Massentierhaltung. Eher dokumentiert sie den Is(s)t-Zustand einer Gesellschaft, die Lebewesen zu Turbofleisch macht.

Ist das die Aufgabe von Kunst? Mit nahezu wissenschaftlicher Akribie die oft banale Gegenwart ins Bild zu setzen. Ein Huhn im 3-D-Drucker in zwanzigfacher Größe wiederauferstehen zu lassen, dessen echter Körper in der Tiefkühltruhe im Atelier ruht. Was wohl die anderen Künstler zu dem traurigen Kadaver sagen, mit denen sich Greiner die Räume in der Tempelhofer Malzfabrik teilt? Wahrscheinlich sind sie nachsichtig, denn alle sieben kommen aus derselben Schule: Sie haben bei Olafur Eliasson am Labor für Raumexperimente studiert. Schon ihr Professor erklärte 2010 sein Solarprojekt zur Kunst, obwohl es profan Möglichkeiten erforscht, wie Menschen ohne Zugang zur Elektrizität mit Licht versorgt werden können. Verstehen lässt sich das nur, wenn man Licht wie Eliasson als ein ästhetisches Phänomen begreift. Dann schafft er Kunst für alle.

Greiner, der einige Semester Medizin studiert hat, führt diese Methode fort: Auch er forscht, seine Materialproben landen unter dem Mikroskop oder im Computertomografen, werden vermessen und fotografiert. Die Knochen des Monuments, das bereit ist für den Transport zu Greiners Ausstellung „Agentur des Exponenten“ in der Berlinischen Galerie, entstehen dank neuester Technik an der FH Wildau aus hauchdünnem Kunststoff. Die Arbeit des Bildhauers beschränkt sich aufs Nummerieren und Zusammensetzen der Einzelteile.

Greiner erfasst die Realität der Konsumgesellschaft

Im Unterschied zu Eliasson erfasst Greiner statt eines globalen Problems die Realität der Konsumgesellschaft, die ihn umgibt. Seine Tätigkeit beschreibt er als archäologische Studie: Er archiviert Plankton, Fliegen oder Masthühner. Die verfremdenden Eingriffe sind minimal, doch in der Berlinischen Galerie wird sichtbar, wie sie wirken. Greiners gigantische Aufnahmen von Algen werden zu Porträts, die pulsierende Haut von Kalamaren zur visuellen Partitur für Komponisten, deren Interpretationen nun ein selbst spielendes Klavier aufführt. Und das „Monument für die 308“ verkörpert für den Künstler die Idee von einem „Instant-Dinosaurier“ – ein Hybrid, der zusammen mit dem Menschen aussterben würde, weil er nur unter dessen künstlich hergestellten Bedingungen leben kann.

Greiner, Jahrgang 1979, hat in diesem Jahr den Gasag-Kunstpreis für sein Werk bekommen, die aufwendige Ausstellung ist Teil der Auszeichnung. Schaut man im Rahmen der Berlin Art Week hinüber zur Schering-Stiftung, offenbaren sich Parallelen. Hier werden seit Langem Künstler an der „Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft“ vorgestellt, die Phänomene der Wirklichkeit beobachten, messen und analysieren. Zur Art Week stellt sich dort die Bildhauerin Yvonne Roeb mit ihren Mischwesen die gleichen Fragen wie Greiner: nach den „Grenzen oder Nichtgrenzen zwischen Natur und Mensch“.

Auf der Biennale bleiben die meisten Arbeiten ohne Haltung

Ein anderer aktueller Schauplatz ist die Berlin Biennale. Hier demonstriert das DIS-Kuratorenteam aus New York, wie verblüffend perfekt Arbeiten von Nik Kosmas oder Simon Denny mit ihren realen Vorbildern zur Deckung kommen. Auf der Biennale wird betont, dass aktuelle Kunst vermehrt „die Eigenschaften gewöhnlicherer Dinge“ annimmt. Dazu gehören der visuelle Auftritt und das Vokabular von Start-ups, die vieles an den drei Ausstellungsorten wie PR-Kampagnen aussehen lassen. Die Kunst, ließe sich positiv vermerken, hat ihren Elfenbeinturm verlassen. Sie will auf Augenhöhe elementare Themen wie die Zukunft der Arbeit, Gentechnik oder Ökologie verhandeln.

Faktisch aber bleiben die meisten Arbeiten der Biennale ohne Haltung. Man muss schon selbst entscheiden, ob sie kritisches Potenzial besitzen oder in der Affirmation verharren. Die Strategie, sich dem Gegenstand seines Interesses mimetisch zu nähern, praktizieren derzeit viele Künstler. Im direkten Vergleich dieser „Kunst im Spiegel der Gegenwart“, wie Greiner sie nennt, werden die Nuancen dieser Reflektion sichtbar.

In der Medizin kein "Platz für Eventualitäten"

Greiner ist ein Beispiel für ihren kritischen Impetus. Obwohl er behauptet, sein Standpunkt bleibe offen. Sieht man aber, mit welcher Faszination er eine Stubenfliege fotografisch vergrößert, bis sie die Maße eines mittelgroßen Hundes erreicht, artikuliert sich auch sein Staunen über die Schönheit der Details. Bei Heinrich, dem lebenden Masthahn, kommt Respekt dazu. Der Künstler hatte es in Brandenburg als Broiler gekauft, wollte es aber gar nicht braten. Stattdessen übergab er das Tier an einen Kinderbauernhof, um zu sehen, wie es sich jenseits der Massenzucht macht. Ob ein Hybride überhaupt dort leben kann, weil Hühner wie Heinrich körperlich deformiert, unsozial und mit einem abartigen Fressdrang ausgestattet sind. Letzteres erwies sich als nützlich: Die anderen Hühner hatten Respekt vor dem hungrigen Hahn. Heinrich war Studienobjekt und Kreatur in einem, die Porträts im Atelier lassen kaum Zweifel an Greiners Sympathien zu. Höchstens an der Frage, ob man selbst noch Masthühnchenfleisch verspeisen will.

„Was kann Kunst in der Gesellschaft?“, um diese Frage kreisen die Arbeiten im großen Atelier der Ex-Eliasson-Eleven. Sein Medizinstudium hatte Greiner zuvor aufgegeben, weil dort kein „Platz für Eventualitäten“ war. Für diese kleine Verschiebung, die am Ende der Forschung ein Kunstwerk aus dem Material entstehen lässt wie im Fall des „Monuments für die 308“. Hebt dieses authentische Knochengerüst eines Huhns nicht gerade zum Flug in die Freiheit an? Können Hühner überhaupt fliegen?

Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Eröffnung: 14.9. ab 19 Uhr

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