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Kunstproduktion als Verdauungsprozess. Ein Blick in Andreas Slominskis Ausstellung „Das Ü des Türhüters“.

© Tobias Hübel/Deichtorhallen

Andreas Slominski Ausstellung in Hamburg: Eine Kathedrale aus Toiletten

200 Toiletten, 3800 Quadratmeter, ein Künstler: Der Berliner Bildhauer Andreas Slominski bespielt die Hamburger Deichtorhallen mit einer großen Ausstellung.

Auf der Homepage des New Yorker Guggenheim ist das Projekt immer noch als „upcoming“ vermerkt: Der italienische Künstler Maurizio Cattelan hat dem Museum eine Toilette aus purem Gold versprochen. Im Mai sollte das fürs Publikum frei benutzbare Luxusklo installiert werden, doch die New York Times meldete „ernsthafte technische Schwierigkeiten“ bei der Produktion des hinterlistig mit „America“ betitelten Objekts. Das neugierige Kunstpublikum wartet weiter.

Glückliches Hamburg: Für die Deichtorhallen hat der deutsche Künstler Andreas Slominski eine raumgreifende Ausstellung mit mobilen Toilettenhäuschen ersonnen. Sie wurde ohne Verzug eröffnet. Die etwa 200 vorwiegend marineblauen und signalroten Klos stammen aus der Massenfertigung, waren leicht aufzustellen oder nach Slominskis Ideen zu modifizieren. Nach dem Ende der Schau werden die Kabinen ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt. Kein Aufwand also, materiell gesprochen.

Labyrinth aus Assoziationen

Doch wer vor zweieinhalb Jahren Slominskis Solo „Über die Freundschaft“ im Neuen Berliner Kunstverein gesehen hat – mit Fertiggaragenbausätzen, Abschleppschildern, einer Ziegelmauer und vielen Bezügen zum passionierten Autofahrer Bertold Brecht –, der weiß, dass der gebürtige Niedersachse mit eher simplen Zutaten überaus komplexe Zusammenhänge herstellt. Der Künstler wurde mit Tierfallen bekannt, die er in Kunsträumen scharfstellte und somit eine besondere Spannung schürte, „als würde man eine Ohrfeige erwarten“ (Slominski). Seine jüngeren Werke sehen kaum noch nach Fallen aus, sind aber trotzdem welche – für ihre Betrachter. Sicher kommt man lebend heraus. Aber in Slominskis Labyrinthen aus Assoziationen und Denkanstößen kann man sich ziemlich verirren.

In der 3800 Quadratmeter großen Deichtor-„Halle für aktuelle Kunst“ erfüllen die Häuschen alle möglichen Aufgaben (außer der einen): Spalier stehend werden sie zu raumgliedernden Ausstellungswänden, mitunter mutieren sie zu verglasten Vitrinen, nicht zuletzt bilden Kabinen oder ihre Elemente die Werke selbst. Wiederholt macht Slominski den modernen Museumsbetrieb zum Thema. Einmal wird eins zur Selfiestation; der Kabinenboden ist an der Wand fixiert, von unten schlüpft man durch die offene Tür hinein und knipst sich selbst – mit Klobrille als Heiligenschein.

In der Toilette sind alle Menschen gleich

Das Gesamtarrangement lässt an eine Kathedrale denken. Ein breiter Gang aus blauen Klohäuschen rechts und links bildet das Hauptschiff, darüber schwebt eine Art barocker Kronleuchter aus kreisförmig verbundenen Kabinen. Die Module der Ausstellung selbst bieten nicht nur religiöse Assoziationen. Man mag Beichtstühle – auch „Seelenklos“ genannt – ebenso assoziieren wie Wachhäuschen. Die militärische Anmutung führt übrigens zur Erfindung der Mobiltoilette zurück: 1973 schraubte sich ein in Deutschland stationierter US-Soldat, der sich an mangelnder Notdurft-Privatsphäre bei Manövern störte, eine provisorische Toilette zusammen und nennt sie Dixi.

Das Dixi-Klo ist bis heute ein Begriff. In den Deichtorhallen stehen indes Sanitärsysteme der Marke Global, was sicher auch mit dem Markennamen und Slominskis umfassendem Zugriff zusammenhängt. In der Toilette, so albern das erstmal klingt, sind alle Menschen gleich. Und auch die Kabine selbst stellt – aus praktischen Gründen – eine Art humanoides Abbild dar. Außerdem kann das Klo, das so unausweichlich auf menschliche Bedürfnisse zugeschnitten ist, wie der mit Käse bestückte Schnappmechanismus (oder komplementär dazu, weil es um Ausscheidung statt Nahrungsaufnahme geht) zur Falle werden. Passenderweise hat Slominski daneben ein kleines Holzhäuschen „Mäusemassenfang“ (2004) platziert, inklusive Köder.

"Pissoir mit Korken" - bereits verkauft

So minimalistisch Slominski vorgeht, indem er sich fast ausschließlich an einem Kabinenfabrikat abarbeitet, so heftig entzündet sich seine Fantasie am Objekt. Im Entree ist eine Wandarbeit zu sehen, die aus einer um 90 Grad gedrehten Sitz- und Hocktoilette besteht. Die Form erinnerte den Künstler an die Darstellung der von einer Toröffnung durchbrochenen Mauer in Orson Welles’ Kafka-Verfilmung „Der Prozess“ (1962). Im Film wird die Parabel „Vor dem Gesetz“ mit Kreidezeichnungen illustriert. Kafka erzählt darin von einem Mann, der jahrelang darauf wartet, dass ihm ein Türhüter Einlass in das „Gesetz“ gewährt. Sterbend fragt der Mann schließlich, warum in all den Jahren niemand außer ihm Einlass verlangt hat. Der Hüter antwortet: „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“

Vielleicht hätte der Mann einfach hineingehen sollen. Die existenzielle Scheu der Figur lässt an unsere eigene Trägheit denken, uns mit schwierigen Sachverhalten auseinanderzusetzen. Slominski, der seine Ausstellung „Das Ü des Türhüters“ betitelt hat, scheint animieren zu wollen, unseren persönlichen Eingang in seine Arbeit zu suchen und zu finden.

Die Slominski-Edition „Pissoir mit Korken“, je 36 Kunststoffteile in fünf Farben à 360 Euro, ist bereits ausverkauft. Natürlich erinnern die im Notfall auch verwendbaren Multiples an Marcel Duchamps „Fountain“, mit dem der französische Künstler 1917 eine Kunst-Kontroverse auslöste. Duchamp hatte ein handelsübliches Urinal um 90 Grad gekippt und das solchermaßen entfunktionalisierte Objekt für eine New Yorker Ausstellung eingereicht. Dass die Arbeit sich nicht in der Readymade-Idee erschöpft, sondern Vorgefundenes verarbeitet und damit verwandelt, zeigt Slominski nicht zuletzt im „Gurgelraum“. Aus drei Waschtischelementen von Luxusmobiltoiletten hängen Schläuche heraus, als würde Körperinneres nach außen gekehrt. Die Sanitärobjekte werden weiter vermenschlicht, man denkt an Becken und Därme, an Kehlen und Speiseröhren – nicht allein, weil alle drei Objekte das Wort „Gurgel“ im Titel tragen.

Die Slominski-Falle schnappt wieder zu

Slominski holt aus dem Klo-Komplex heraus, was geht, seine Lust am Umdenken, Umformen, Neu-Zusammensetzen grenzt ans Manische. Nirgendwo aber rundet sich seine soziale Toilettenplastik zu einer abgeschlossenen Erzählung ab. Kunstproduktion als Verdauungsprozess. Ausgeschieden, pardon, ausgestellt wird nicht unbedingt das Gute, Schöne, Wahre. Aber dennoch gelingt es dem Künstler, uns an seine Sanitärwelt zu fesseln. Die Slominski-Falle schnappt wieder zu.

Eines der Häuschen hat Slominski am oberen Ende einer Hallenwand angebracht und mit einem Motor versehen, der es wie einen Sekundenzeiger um die eigene Achse kreisen lässt. Zweimal pro Minute meldet sich das kinetische Objekt „Big Ben“ akustisch – wenn die in der Luft schwingende Toilettentür zuklappt und kurz darauf Brille und Deckel auf den Klorand knallen. Wie der Schlaf strukturiert auch der Verdauungsrhythmus unsere Zeit. Toilettengänge können zeitraubend sein, doch kommen einem dort oft die besten Ideen. Klos sind Kreativitätsfabriken. Das stille Örtchen ist nicht nur eine kulturelle Notwendigkeit, es gehört unbedingt in die Schauräume der Museen. Muss nicht aus Gold sein, Plastik genügt

Deichtorhallen Hamburg, Halle für aktuelle Kunst, bis 21.8., Di-So 11-18 Uhr

Jens Hinrichsen

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