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Geheimnis der Steuerungssysteme. Die Britin Angela Bulloch lebt seit 1999 in Berlin. In ihrem Atelier in Charlottenburg bereitet sie ihre Installation „Information, Manifesto, Rules and other leaks ...“ für die Berlinische Galerie vor.

© Mike Wolff

Angela Bulloch: Ordnung ist die halbe Kunst

Angela Bulloch spielt gern mit Regelwerken, Rezepten, Anleitungen. Am Donnerstag wird die britische Künstlerin in der Berlinischen Galerie geehrt.

Klein, flach und schwarz liegen die Festplatten im Regal ihres Ateliers. Angela Bulloch braucht sie für ihre Kunst; einmal programmiert, steuern sie die Installationsobjekte, die aufleuchten und sich bewegen. „These are the brains“, sagt Bulloch. Doch was verbirgt sich in diesen Gehirnen? Ein System aus Nullen und Einsen? Eine Idee? Gar die ganze Kunst? Ehe man sich versieht, steckt man mittendrin in Angela Bullochs konzeptueller Arbeit.

Sie selbst steckt zurzeit in Vorbereitungen für ihre Ausstellung in der Berlinischen Galerie. Am Donnerstagabend wird Bulloch dort der Vattenfall Contemporary Preis verliehen – zur Auszeichnung gehört eine Schau im Landesmuseum. Angela Bulloch wird einen 40 Meter langen schlauchartigen Raum bis zur Decke bespielen.

Ein Modell davon, im Maßstab 1:50, steht in ihrem Atelier in Charlottenburg, im friedlichen Irgendwo zwischen Landwehrkanal und Spree. Auf den Wänden kleben Textbausteine, Schriftzüge explodieren in alle Richtungen. Dieses Mal kommt Angela Bulloch ohne Computer aus. Anstelle von Kabeln und Schaltplänen, die sonst auf den großen Tischen in ihrem weitläufigen Studio mit Blick ins Grüne herumliegen, finden sich kleine Farbflaschen und Klebertuben. Was nicht heißt, dass sie sich untreu wird, denn die Künstlerin beschäftigt sich auch hier mit Systemen: mit Regeln und Vorschriften.

An der Werkgruppe – „Rules Series“ heißt sie – arbeitet sie seit 1992. Überall sammelt die 1966 geborene Britin Regelwerke, ob es sich um Hausordnungen von Stripclubs („Lassen Sie Ihre Drogen zu Hause“) oder einer Ferienwohnung in der Kleinen Hamburger Straße 5 handelt („Kaffeemaschine ausschalten. Fenster schließen!“), um Anweisungen im Britischen Unterhaus oder Definitionen über Konzeptkunst: „Konzeptkünstler lieben Listen“. Stimmt.

In der Berlinischen Galerie steht in der Installation „Information, Manifesto, Rules and other leaks ...“ das Manifest der sogenannten Novembergruppe im Zentrum, der 1918 in Berlin gegründeten Künstlervereinigung. In den Archiven des Museums hatte Bulloch Dada-Plakate gefunden und deren verschachtelte Collagen-Typografie für ihre eigene Installation übernommen. Daneben sind interne Mitteilungen einer Bank zu lesen, die sie auf der Enthüllungsplattform Wikileaks gefunden hat. Oder Anleitungen, wie man einen Big Mac zubereitet – oder die Regeln der Cosa Nostra, der italienischen Mafia.

Überall gibt es Verhaltensregeln, alle Institutionen gehorchen bestimmten Strukturen. Aus ihrem Kontext herausgerissen, wächst den Sätzen neue Bedeutung zu. Je nachdem, wer sie liest, je nachdem wo. Das lehrt sogar der Alltag: In Berlin läuft Angela Bulloch nicht bei Rot über die Straße, sagt sie. „In London schon.“ Da machen das alle.

Den Betrachter bezieht die Künstlerin gerne ein, auch in der Ausstellung, die derzeit in der Städtischen Galerie in Wolfsburg zu sehen ist. Dort ist sie kürzlich ebenfalls ausgezeichnet worden, mit dem Kunstpreis der Stadt Wolfsburg. Seit den Neunzigern entwickelt die Konzeptkünstlerin ihre „Drawing Machines“. Ein Stift fährt an der Wand entlang; wenn ein Besucher den Raum betritt oder sich bewegt, ändert der Maschinenarm seine Richtung. Auf diese Weise entsteht ein Bild voller Linien. So produziert die Künstlerin Bilder, die sie selbst nicht vorhersehen kann. Ihre ganze Gestaltungskraft liegt in dieser kleinen, schwarzen Box, dem „brain“, der Programmierung.

So auch im Berliner Paul-Löbe-Haus, dem Parlamentsgebäude. Hier hat Bulloch Lampen in verschiedenen Farben aufgehängt, die abwechselnd aufleuchten. Nach welchem System, das ist ein Stockwerk höher zu entschlüsseln. Hier stehen farbige Bänke, und jedes Mal, wenn sich ein Abgeordneter auf die „Seats of Power“ setzt, wird damit der Schalter für die Kugelleuchten ausgelöst. Die Idee hat auch ein politisches Moment: Man hat die Freiheit, sich eine Bank auszusuchen; und die Konsequenzen der Entscheidung folgen bestimmten Gesetzmäßigkeiten.

Bulloch ist in Kanada geboren und in Großbritannien aufgewachsen, sie besitzt beide Staatsbürgerschaften und zählt zur Riege der „Young British Artists“, jener Gruppe von Künstlern, die sich 1988 in der inzwischen legendär gewordenen Londoner Ausstellung „Freeze“ präsentierten. Damien Hirst war damals der Initiator, alle Beteiligten studierten am renommierten britischen Goldsmith College. 1997 war Angela Bulloch für den Turner Preis nominiert, er gilt als bedeutendste Auszeichnung in Großbritannien. Sie hat in der Wiener Secession und im Lenbachhaus in München ausgestellt, und für Dior einen Laden im japanischen Osaka mit ihren typischen Pixelboxen ausgestattet. Auch Pixel sind Teil eines Systems, es sind die kleinsten Teilchen in unserer gerasterten, computergesteuerten Welt. Bei Bulloch nehmen sie die Gestalt von Leuchtkästen an und erstrahlen in den schönsten Farben.

Die Auszeichnung der Berlinischen Galerie hieß bis 2009 noch „Kunstpreis Energie“; mit ihr sollten ostdeutsche Künstler gefördert werden. Nun können Künstler aus der ganzen Welt mit dem Preis geehrt werden, soweit sie in Berlin arbeiten. Angela Bulloch lebt seit 1999 hier. Warum Berlin? „Es ergab sich so“, sagt sie. Sie hatte hier zu tun, hatte hier eine Galerie, Esther Schipper, mit der sie heute noch zusammenarbeitet, fand günstigen Arbeitsraum. Im Gegensatz zu London. Auch das ist ein Gesetz, aber ein ungeschriebenes. Sonst könnte Angela Bulloch es in ihre Serie aufnehmen.

Berlinische Galerie, Alte Jakobstraße 124–128, Eröffnung und Preisverleihung am 28. April, 19 Uhr. Bis 29. August, tgl. außer Di 10 –18 Uhr.

Städtische Galerie Wolfsburg, bis 18. September, Di 13–20 Uhr, Mi–Fr 10–17 Uhr, Sa 13–18 Uhr, So 11–18 Uhr

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