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Anselm Reyle: "Orbit", 2016

© Matthias Kolb

Anselm Reyle im Contemporary Fine Arts: Die Freude am Falschmachen

Der Aussteiger kehrt zurück: Anselm Reyle setzt sich im Contemporary Fine Arts an die Töpferscheibe.

Das Bild vom Aussteiger, der sich an die Töpferscheibe setzt, war wohl zu schön, als dass Anselm Reyle ihm hätte widerstehen können. Zwei Jahre nach seinem erklärten Rückzug aus dem Kunstbetrieb und der Auflösung seines fünfzigköpfigen Berliner Atelierbetriebs zeigt der Künstler nun die ersten nagelneuen Arbeiten in den nagelneuen Galerieräumen von Contemporary Fine Arts in der Grolmanstraße. Sozusagen eine Doppelpremiere.

Zu dem neuen Standort möchte er eigentlich gar nichts sagen, erklärt Galerist Bruno Brunnet. Und meint dann doch: „Gehen Sie hier mal vor die Tür und sehen sich um. Uns war es wichtig, wieder in einem normalen Umfeld zu sein. Hier wohnen Menschen.“ Er sagt auch noch, dass der Mietvertrag im poshen Chipperfield-Gebäude Am Kupfergraben 10 gegenüber der Museumsinsel Ende 2017 ausläuft und vom Vermieter, dem Sammler Heiner Bastian, nicht verlängert wurde. Also lief Brunnet eines Novembertages an dem leer stehenden Ladenlokal zwischen Kurfürstendamm und Savignyplatz vorbei und entschied, wie andere vor ihm: Go West!

Anselm Reyle, der etwa zur gleichen Zeit seine Rückkehr in den Kunstbetrieb beschloss, kam das gerade recht. So wie seine – allesamt neu gefertigten – Keramiken in diesen gediegenen Räumen auf mattschwarzen Podesten stehen, könnte man hier auch Ming-Vasen ausstellen. „Ich möchte da nicht mehr hinkommen, wo ich war“, sagt der Künstler. Und meint damit nicht nur die Zahl seiner Assistenten.

Reyles neuer Fokus: Vasen

Die Perfektion, die Produktion seiner Streifen- und Folienbilder unter Manufakturbedingungen, das hatte am Ende nicht nur seine Kritiker gestört. Er richtet das Augenmerk wiederholt auf das „Skizzenhafte“ seines neuen Arbeitens und erzählt von der neuen Freude am Falschmachen. Berichtet, wie ihn sein Künstlerfreund Takashi Murakami mit dem ästhetischen Konzept von Wabi-Sabi vertraut gemacht habe, das die gebrochene Schönheit ehrt. Erzählt von seiner neuen Offenheit esoterischen Lebensentwürfen gegenüber, wie sie sich seiner Beobachtung nach bei allen Keramikern finden. Auch bei jenem in Venne bei Osnabrück, der Reyles bis zu mannshohe Keramiken fertigen konnte.

Keramiken also. Genauer gesagt: Vasen. Fat-Lava-Vasen. Fat Lava? So nennt man die bizarr verkrustete westdeutsche Industriekeramik der Wirtschaftswunderzeit. Kunsthandwerklich wie materiell wertloser, nach Ascheregen oder Ölpest aussehender Tand, heute ist er nur noch auf Flohmärkten zu finden. Von dort hat Anselm Reyle auch seine eigene Sammlung von rund fünfzig dieser Fat-Lava-Vasen zusammengetragen. Um nun also im großen Stil selbst einzusteigen, nicht nur maßstäblich.

Sorgfältig platzierte Risse

Bei Preisen zwischen 12 000 und 65 000 Euro wird sein forcierter Keramik-Kitsch – die Übertreibung, Übersteigerung war schon vorher eine bevorzugte Reyle-Strategie – so bald wohl auf keinem Flohmarkt landen. Ob mit grell-orange zerfließender oder grauschwarz verschorfter Glasur, ob gerippt oder nach oben sich verjüngend, ob mit oder ohne Henkel: Immer haben die Vasen einen sorgfältig platzierten künstlichen Riss, immer wurde vor dem Glasieren so abgeklebt, dass ein kleiner Teil des roten Tons auch nach dem Brennen sichtbar bleibt.

Auch das „Falschmachen“ ist bei Anselm Reyle eine Frage von Planung und Organisation. Keiner kann am Ende aus seiner Haut.

Contemporary Fine Arts, Grolmanstr. 32/33. Bis 25. 6.

Jens Müller

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