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Kultur: Antisemitismus

Am 11. September wäre er 100 Jahre alt geworden. Bis dahin zitieren wir täglich Theodor W. Adorno

Wer den totalitären Antisemitismus begreifen will, sollte sich nicht dazu verleiten lassen, dessen Erklärung einer gleichsam naturgegebenen Notwendigkeit gleichzustellen. Wohl sieht retrospektiv alles so aus, als hätte es so kommen müssen und nicht anders sein können. Man wird unter den Berühmten der deutschen Vergangenheit bis hinauf zu Kant und Goethe nur wenige nennen können, die von judenfeindlichen Regungen ganz frei waren. Aber indem man auf solche Universalität insistiert und die Fatalität des Geschehenen im Begriff nochmals wiederholt, macht man sie in gewissem Sinn sich selbst zu eigen. Den Spuren des heraufdämmernden Verhängnisses in der deutschen Vergangenheit ist allerorten auch deren Gegenteil gesellt, und die Weisheit, ex post facto zu dekretieren, was von vornherein das Stärkere gewesen sei, macht es sich allzu leicht, indem sie das Wirkliche als das allein Mögliche unterstellt.

Aus: Vorworte zu den „Frankfurter Beiträgen zur Soziologie“, zu: Paul W. Massing: Vorgeschichte des politischen Antisemitismus. Sommer 1959. In: Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften. Hrsg. Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan BuckMorss und Klaus Schultz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1997. Band 20.2.

WAS ADORNO SAGT (5)

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