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Der verstorbene Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfouz

© dpa

Arabische Welt: Die fernen Väter des Aufstands

Preissegen für die arabische Welt: Noch nie wurden so viele Autoren aus der Region ausgezeichnet. Ein Unbehagen bleibt

Die Literaturpreise regnen nur so herab auf arabische Autoren in diesem Jahr. Die Aufstände in der arabischen Welt scheinen dem Rest der Welt die Augen geöffnet zu haben. Die Region hat mehr zu bieten als Terrorismus und Islamismus. Das ist erfreulich. 1988 hatte der Literaturnobelpreis für den großen ägyptischen Schriftsteller Nagib Mahfouz erstmals den Blick in diese fremde Region gelenkt. Breiter wurde das Interesse, als die arabische Welt 2004 Gastland der Frankfurter Buchmesse wurde. Doch die Arabische Liga als Partner machte dies zu einer quasi staatlichen Veranstaltung.

Nun sind es zweifellos die überraschenden politischen Ereignisse in der Region, die die Juroren angeregt haben, den Blick auf die bisher wenig ausgezeichnete arabische Welt zu lenken. Doch vor diesem Hintergrund sind manche der Ehrungen irritierend. Denn einerseits feiern wir die Jugend in der arabischen Welt, die geschafft hat, was die ältere Generation von Oppositionellen und kritischen Schriftstellern nicht vollbracht hat; doch die Auszeichnungen gehen größtenteils an altbekannte Gesichter, die oft im Westen leben und uns daher vertraut sind. Sie sind säkular und sagen das, was der Westen gern hören möchte. Oft auch noch in unseren Sprachen. Männer über Sechzig, die von den Ereignissen und den neuen Kunstformen, die diese hervorbringen, merkwürdig abgekoppelt wirken. So erhielt der 81-jährige syrische Dichter Adonis, der in Paris und Beirut lebt, gerade den Goethepreis der Stadt Frankfurt. Der seit 40 Jahren mit Unterbrechungen in Paris lebende marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun wird mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis geehrt; und der Friedenspreis des deutschen Buchhandels geht an den 62-jährigen Algerier Boualam Sansal, der in Algerien lebt und auf französisch publiziert.

Die Juroren politischer Preise und von Auszeichnungen für Menschenrechtler haben es eigentlich einfacher. Wenn die Friedrich-Ebert-Stiftung ihren Menschenrechtspreis 2011 vergibt, geht er an zwei Blogger aus der Region: Der von der ägyptischen Polizei zu Tode gefolterte Khaled Mohamed Said wird posthum geehrt, sein Tod war ein Funke, der zur Revolte beigetragen hat. Und der tunesische Internetaktivist Slim Amamou, der erst im Gefängnis saß und nach der Revolution kurzzeitig Staatssekretär war. Das passt. Wenn aber der seit 1971 in Deutschland lebende Syrer Rafik Schami den Demokratiepreis des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ bekommt, fragt man sich, ob ein mittlerweile deutschsprachiger Autor der richtige Kandidat ist in Zeiten des Arabischen Frühlings.

Bei den literarischen Ehrungen ist es angesichts der aufgewühlten politischen Emotionen komplizierter. Adonis, der Vorreiter der literarischen Moderne in der arabischen Welt, hätte den Goethepreis schon längst verdient. Er ist – wie die Jury befand – „der bedeutendste arabische Dichter unserer Zeit" – oder zweifelsfrei einer der bedeutendsten, neben dem 2008 verstorbenen palästinensischen Dichter Mahmoud Darwish. Aber der Zeitpunkt der Ehrung von Adonis ist unglücklich. In der arabischen Welt wird der Literat dafür kritisiert, dass er es nicht geschafft hat, zu dem Blutbad in seinem Heimatland eindeutig Stellung zu beziehen. Bis heute, wo selbst die EU schon so mutig ist, Präsident Baschar al Assad zum Rücktritt aufzufordern.

Der Schriftsteller Tahar Ben Jelloun, der am Mittwoch das Berliner Literaturfestival mit einer Rede eröffnet (siehe Interview auf dieser Seite), ist zu Recht schon mit vielen literarischen Preisen gewürdigt worden. Die Auszeichnung mit dem Remarque-Friedenspreis 2011 ist allerdings eine Überraschung, denn der Demokratiebewegung in seiner Heimat stand er bisher nicht sonderlich nahe. Der deutsche Buchhandel kann sich zugute halten, dass er bereits im Jahr 2000 eine arabische Autorin mit dem Friedenspreis auszeichnete – die Algerierin Assia Djebar, die in ihrem Werk der Selbstfindung der Frau in islamischen Gesellschaften auf den Grund geht. Ein Thema, das wir im Westen lieben. Und praktischerweise schreibt sie auf Französisch. In diesem Revolutionsjahr ist ihr Landsmann Boualem Sansal auserkoren worden, der in seinen Büchern so harsche Kritik an den Missständen in Algerien übt, dass sie im Land verboten sind. Das spricht für Sansal. Nur wird wieder ein frankofoner Autor gefeiert, der nicht nur von Regimetreuen dafür kritisiert wird, dass er in einer Sprache schreibt, welche die jungen Algerier kaum noch beherrschen.

Gerade haben uns die arabischen Völker gelehrt, dass sie nicht abgehängt sind von der Weltgeschichte, sondern aus eigener Kraft Veränderungen bewirken. Wäre es da nicht schön gewesen, wenn die deutschen Juroren gewagt hätten, einen arabischen Autoren zu ehren, der in der arabischen Welt lebt, auf arabisch schreibt und dessen Ruhm in der Region selbst begründet ist? Der Ägypter Ala al Aswani hat es geschafft, in der arabischen Welt mit seinem zersplitterten Buchmarkt einen Bestseller zu schreiben, „Der Jacoubijan-Bau“, der spielerisch und gnadenlos zugleich zeigt, wie das Leben unter einem Willkürregime alle menschlichen Beziehungen korrumpiert. Gleichzeitig publiziert er politische Kolumnen, hat durch ein Rededuell im Fernsehen einen Premierminister gestürzt. Doch al Aswanis spitze Zunge macht auch vor der Haltung des Westens nicht halt. In einer Zeit, in der Europa lernen muss, wie eine Partnerschaft auf Augenhöhe aussieht, wäre eine Preisrede, die dem Westen die Leviten liest, durchaus anregend gewesen. Das ist bei den Preisträgern nicht zu befürchten.

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