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Mehr als Handwerk. Das Arbeitsgerät eines jeden DJs, der Plattenspieler.

© Imago

Clubkultur in Buchform: Arbeit und Erlebnis

Jede Platte eine Geschichte: Jürgen Teipel lässt in „Mehr als laut“ DJs aus ihrem Alltag erzählen.

Michael Mayer sagt, dass er seinen ersten DJ-Job mit 18 in einer Diskothek bei Baden-Baden gehabt habe; Dirk Mantei erinnert sich, nach einem Ausflug nach London „hier in Heidelberg gleich ’ne AcidHouse-Party in ’nem Club etabliert“ zu haben; Hans Nieswandt veranstaltete in Köln Partys, „zuerst in einer Eckkneipe in der Venloer Straße. Die hieß Alte Garde. Mit Butzenscheiben und so weiter.“ Und Acid Maria berichtet, 1991 von einem Trip nach Ibiza „so einen bestimmten Lifestyle nach München“ mitgebracht zu haben: „Unter anderem – da war ich 19 – habe ich Partys im Parkcafé veranstaltet. Mit Boxentänzern, Dekoration und Verkleidung.“

Es geht hier, unverkennbar, um die Anfänge der DJ-und Clubkultur in Deutschland, und geführt hat diese Gespräche der Journalist und Schriftsteller Jürgen Teipel. In seinem Buch „Mehr als laut“ erzählen DJs, Musiker und Clubbetreiber, die zumeist in den frühen siebziger Jahren geboren wurden, aus ihrem Berufs- und Feierleben, wobei die Gespräche alle aus dem Jahr 2002 datieren, von Teipel aktualisiert durch ein „The DJ is still alive“ betiteltes Kapitel am Ende. Bekannt geworden ist Jürgen Teipel 2001 mit dem als „Doku-Roman“ bezeichneten Buch „Verschwende Deine Jugend“. Darin erinnerten sich die Protagonisten der Punk- und New-Wave-Bewegung ihrer jungen Jahre, Musiker wie Blixa Bargeld, Campino und Jäki Eldorado oder der Labelbetreiber Alfred Hilsberg.

„Verschwende Deine Jugend“ gilt heute als Blaupause für die Historisierung von Subkulturen, die insbesondere in den letzten zwei Jahren flächendeckend eingesetzt hat. Man denke an Wolfgang Müllers „Subkultur Westberlin 1979–1989“, an Felix Denks und Sven von Thülens Gesprächsbuch „Der Klang der Familie“ über Berlin, Techno und die Wende oder auch an Ulrich Gutmairs „Die ersten Tage von Berlin“.

Vor allem aber wurde in diesen Büchern Berlins Sub- und Technokultur bis in jeden noch so dunklen, unbekannten Winkel vermessen; Teipels Buch ist allein deshalb bemerkenswert, weil der Fokus nicht auf Berlin liegt und bis auf Marc Reeder, Inga Humpe und Miss Kittin alle seiner 20 Gesprächspartner sich andernorts einen Namen gemacht haben. So der Gigolo-Label-Betreiber DJ  Hell (München), die DJs und Produzenten Koze und Lawrence (Hamburg), der Stuttgarter Rainer Trüby, der erste Geschäftsführer des Mannheimer Techno-Clubs Milk!, Dirk Mantei, oder Bianca Girbinger und Acid Maria (Karlsruhe).

Nicht weniger bemerkenswert ist, dass Frauen hier ausführlich zu Wort kommen und von ihren Schwierigkeiten in einem männlich dominierten Genre berichten: „Ich bin dann in München immer mit meinen Jungs in den Plattenladen gegangen. Aber wenn du mal was dazwischengefragt hast, wurde immer mit den Augen gerollt.“ (Acid Maria) Sie habe versucht, „das zu tun, was ich tue“, so Stella Stellaire: „Und zu vergessen, ob die mir nun alle doppelt auf die Finger schauen, weil ich ein Mädchen bin.“ Und Inga Humpe berichtet, dass sich 18-jährige Jungs eher nicht um die Plattenteller der Frauen scharen und dann mit aufs Hotelzimmer genommen werden wollen: „Bei den Männern ist das – je nach Bekanntheitsgrad – eindeutig so.“

Teipel hat versucht, seine Gespräche nach Themen zu sortieren, von den Anfängen über Geschlechterrollen bis hin zu „Alkohol und Drogen“, „Geld und Erfolg“ oder das DJ-Jetsetting überhaupt. Das erschließt sich nicht immer, auch eine gewisse Redundanz und Verschwatztheit bleibt bei dieser Form von mündlicher Geschichtsschreibung nicht aus.

Den Alltag und das Lebensgefühl der Protagonisten transportiert „Mehr als laut“ jedoch gut, und manchmal kommt Teipel in den Gesprächen auch der Kunst und dem Zauber der DJ-Tätigkeit auf die Spur. Zum Beispiel sagt Michael Mayer: „Wenn eine Platte gespielt wird, dann entstehen aus dieser heraus ja ganz viele Momente. Und irgendwann erzählt sie ganz viele Geschichten.“ Oder Hans Nieswandt: „Da zu stehen und zu sehen, wie sehr die Leute das genießen zu dieser Musik zu tanzen (...), das ist ein Hochgenuss. (...) Wir alle zusammen machen das Erlebnis.“ Und DJ Koze kann auch nach über 15 Jahren „nach wie vor keine Nummer spielen, die ich nicht fühle“.

Wer übrigens nicht ohne Berlin kann, kommt auch hier noch auf seine Kosten: Teipel und seine DJ-Erzähler widmen ein Kapitel der damals noch über dem Ostgut gelegenen Panorama Bar. Und wenn Michael Mayer darüber sinniert, dass das Gästebuch des Ostguts und der Panorama Bar eigentlich einmal als Buch herauskommen müsste („Die Leute haben da unglaubliche Sachen gedichtet“), kann man sich sicher sein, dass genau das schon bald passieren wird. Gerrit Bartels

Jürgen Teipel: Mehr als laut. DJs erzählen. Suhrkamp, Berlin 2013. 236 S., 14,99 €. Buchvorstellung: Mi 15.1., 19 Uhr, Dussmann, mit Acid Maria und Marc Reeder

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