zum Hauptinhalt

Kultur: Architektur als institutionelle Sphäre des Maskulinen in der Galerie Mehdi Chouakri

Erstens: Bauen ist eine kreative Tätigkeit. Zweitens: Bauen ist harte körperliche Arbeit und kein Job für Frauen.

Erstens: Bauen ist eine kreative Tätigkeit. Zweitens: Bauen ist harte körperliche Arbeit und kein Job für Frauen. Drittens: Bauen ist nicht erotisch. Das sind - rein statistisch - die Kernaussagen der zahlreichen Bauarbeiter, die Monica Bonvicini per Fragebogen in Italien, Deutschland und den USA befragt hat. Benannt sind damit auch die zentralen Topoi ihrer eigenen Arbeit: Architektur als gendered space, als institutionelle Sphäre des Maskulinen und sexuell aufgeladenes Konnotationssystem. Wände bilden nicht nur Räume, sondern schaffen soziale Räume, die unser Verhalten in ihnen bestimmen. Architektur ist kein neutrales Feld, sondern ein hierarchisch strukturiertes Terrain, auf dem Macht in Repräsentation verwandelt wird.

Dieses Thema hat Bonvicini in den vergangenen Jahren unter verschiedenen Aspekten untersucht, von den undurchdringlichen Spiegelfassaden moderner Firmenrepräsentanzen über den Ort des Weiblichen in der Männerdomäne Architektur bis zu den Produzenten dieses Funktionssystems. Jetzt sind die Bauarbeiter an der Reihe: "Was denkt Ihre Frau / Freundin von Ihren harten und trockenen Händen?" Diese Frage ist ein einziges Rollenklischee, wird aber beantwortet wie für die Beauty-Rubrik führender Frauenzeitschriften: Die meisten Befragten haben keine Probleme mit trockenen Händen, und die anderen gleich den richtigen Pflegetipp parat.

Ein soziologisches Profil des Arbeitsfeldes Baustelle ermitteln Bonvicinis als work in progress konzipierten Fragebögen jedenfalls nicht. Auch dem Methodenkanon der empirischen Sozialforschung würden sie nicht genügen: zu intentional, zu fokussiert auf die Beziehung von Architektur, Macht und Geschlecht. Doch das ist das Spannende dieser interessegeleiteten Forschung: Wer würde schon behaupten, dass er einen sexistischen Job hat? Unter Mitwirkung von Architekten und Bauherren wurde die Fragen ("a study of the people who build the walls you fuck in") vor Ort auf diversen Baustellen beantwortet, mal eloquent, mal mit knappem ja / nein. Bauarbeiterwitze wollte keiner schriftlich fixieren. Schwule Kollegen - kein Problem. Was ihnen an ihrem Job gefällt? Die frische Luft, die Abwechslung, "das multikulturelle Klima". Bauarbeiter sind weltoffene Menschen. In einem Punkt sind sie sich allerdings einig: Bauen ist Männersache. Paradoxerweise impliziert das nicht, dass Bauen auch eine männliche Tätigkeit ist.

Mit Blick auf das architektonische Resultat wird das komplexer. Bei Mehdi Chouakri korrespondieren den nüchtern gerahmten Fragebögen ("What Does Your Wife / Girlfriend Think of Your Rough and Dry Hands?", 45 000 Mark) insgesamt vier Skulpturen aus Kalksandstein in puristischem Design, die erst im Kontext "Galerie" zum Kunstobjekt werden. Was aussieht wie Minimalismus à la Sol Lewitt, sind die diesjährigen Prüfungsaufgaben der Maurer-Ausbildung, ausgeführt von Absolventen der Knobelsdorff-Schule: Komplizierte Treppungen, Schornsteine und ummauerte Leere. Der Titel der Arbeiten ist immer gleiche "7h 30m" (jeweils Auflage 3, 10 000 Mark) - genauso viel Zeit haben die angehenden Maurer, die Hausbau-Fragmente umzusetzen. Doch was sich architektonisch über seine Funktion definiert, wird im Galerieraum entfunktionalisiert. Zweckfrei im Raum stehend, wird die "Skulptur" zum plastischen Objekt, das sich über seine Form entfaltet. Hier spricht nicht der Diskurs der Architektur, sondern der der Kunst. Und was sagt er? Ein Schornstein ist mehr als ein profaner Rauchabzug. Auch die Kunst kennt das Spiel von Macht und Repräsentation. In Widerspruch zu ihrer geschlechtsneutralen Funktionalität spricht das abstrakte Formenrepertoire der Mauerinnung plötzlich von Kunst-als-Kunst, Kunst-als-Kontext und von Sex. Eine Säule steht mitten im Raum, ein Kamin reckt sich nach oben, und auch zu den Durchbrüchen im Mauerwerk könnte man sich seine Gedanken machen. Alles eine Frage der Perspektive. Aber genau diese Verschiebung des Fokus, die das Alltägliche in anderem Licht erscheinen lässt, zählt ja nach wie vor zu den Stärken der Kunst. Sieh mich an und sieh mich neu. Eines der am meisten auf der Baustelle verwendeten Wörter scheint da programmatisch: "Hey!"Galerie Mehdi Chouakri, Gipsstraße 11, bis zum 4. Dezember; Dienstag bis Sonnabend 11-18 Uhr.

Vanessa Müller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false