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Architektur-Biennale: Ein Rundgang in Venedig

Sehnsuchtsstätten: Ein Rundgang über die Architektur-Biennale Venedig

Sie haben Venedig mit einem Kranz von Hochhäusern umgeben und MongolfiereBallons über die Stadt geschickt: fantasievolle Rettungsvorschläge von Studenten für die ewig bröckelnde Lagunenstadt. Dagegen wirkt das Riesenprojekt Mose, das Venedig mit einer Mole gegen eindringendes Wasser schützen soll und natürlich auch auf der Biennale wieder stolz präsentiert wird, ziemlich brutal. Der britische Pavillon, der unter dem Titel „Villa Frankenstein“ unter anderem eine Teilrekonstruktion der Lagunen-Fauna versucht, weist auf seine Weise auf die ökologisch prekäre Situation Venedigs hin.

Zukunft in Venedig, wo alles Vergangenheit ist: Das ist das Paradox, mit dem jede Architektur-Biennale leben muss. Es wird nicht besser dadurch, dass der Automobilkonzern Audi erstmals seinen Urban Future Award präsentiert. Immerhin mit 100 000 Euro dotiert, wird eine Lösung für die Verkehrsprobleme der Zukunft gesucht – im autofreien Venedig. Auftragsgemäß träumen die nominierten Architekten fast alle in Automobil-Dimensionen, von fahrerlosen Autos (BIG aus Kopenhagen), beweglichen Straßenbändern (standardarchitecture aus Bejing), einem Billigauto für Mumbai (Alison Brooks London) oder dem Umstieg auf Fahrrad, Paraglider und andere motorlose Vehikel (Cloud 9 aus Barcelona). Gewonnen hat der Berliner Jürgen Mayer H. mit dem Zukunftsmärchen eines intelligenten Autos. Die Entwickler von Audi dürften sich sofort an die Arbeit machen.

Die Haupt-Ausstellung im Arsenale, ausgerichtet von der japanischen Pritzker-Preisträgerin Kazuyo Sejima vom Architekturbüro Sanaa, kennt solche Männerträume nicht. Elegant, luftig, mit erlesenem Raum- und Materialgefühl ist hier alles – und einigermaßen wenig konkret. Mehr Kunst als Architektur, da wird der Besucher auf einer Rampe durch Wolken geführt (Transsolar), schwere Betonblöcke lagern auf schwingenden Spiralen (Antón Garcia-Abril), und Berger + Berger haben ein kristallförmiges Kino entworfen.

Viele Künstler sind beteiligt. Olafur Eliasson mit seinen im Stroboskoplicht blitzenden Wasserfontänen, Janet Cardiff mit ihrer „40 Parts Motet“, die eine Renaissance-Motette mit vierzig Lautsprechern zur Klangarchitektur türmt, Thomas Demand, der ein chinesisches Haus, in dem die Bewohner gegen den Abriss protestierten, nach Zürich verpflanzt, oder der New Yorker Tom Sachs, der eine scharfe Polemik gegen Le Corbusier fährt, indem er die Selbstmordversuche aus der Unité d’Habitation in Marseille mit dem Attentat vom 11. September 2001 in Zusammenhang bringt. Wim Wenders, der zu Ehren der Biennale-Direktorin einen 3-DFilm über ihr Rolex Learning Center in Lausanne gedreht hat, fällt dabei leider tief in die Klischeefalle. Das „sprechende Haus“, als welches er die sanft über die Hügel geschwungene Bibliothek präsentiert, mag ein kommunikatives Zentrum sein. Lesen sieht man hier keinen, außer nachts die Putzfrau.

Vorgestellt werden Bibliotheken, Museen, Opernhäuser. So viel Kultur, während die Welt zusammenbricht? Die Länderpavillons präsentieren Herausforderungen von anderer Dringlichkeit. An das Erdbeben von Aquila erinnert eine Fotoausstellung im Dogenpalast, die Veränderung der Lebenswelt thematisiert das Biennale-Debüt von Bahrein, wo sich Fischer darüber beklagen, dass ihre Existenzgrundlage wegbricht – der Beitrag erhielt prompt den Goldenen Löwen für den besten Pavillon. Der amerikanische Pavillon stellt unter dem Titel „workshops“ Zukunftswerkstätten vor, die sich unter anderem mit Trinkwasser- und Küstenschutz in New Orleans beschäftigen – ohne die Ölkatastrophe auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Dafür ist Chile höchst aktuell: Im Februar wurde das Land Opfer eines verheerenden Erdbebens. Im Arsenale präsentieren Studenten Aufbau-, Rekonstruktions- und Verbesserungspläne.

In Europa ist man hauptsächlich mit Stadtentwicklung beschäftigt. Der dänische Pavillon zeigt am Beispiel Kopenhagen, wie eine Stadt sich neu erfindet – mit einem „Catwalk“ der Architekturstars und der Entwicklung von Hafen- und Industriegebieten, die die in endlose Vororte ausufernde Stadt wieder stärker konzentrieren soll. Im französischen Pavillon werden die Entwicklungen in Bordeaux, Nantes, Marseille und Lyon filmisch dokumentiert, während man in Japan über die sich immer wieder erneuernde Stadt Tokio nachdenkt, in der ein Haus durchschnittlich 26 Jahre alt wird.

Der in Berlin arbeitende Architekt Sergej Tchoban schließlich entwickelt im russischen Pavillon Rettungsvisionen für die im Niedergang befindliche Textilindustrie-Stadt Vyshny Volochok – und präsentiert diese mit einem hinreißend altmodischen Panorama, das er von Kunststudenten hat malen lassen.

Das Ende der Utopien: Das trifft auf die ehemaligen Industriequartiere genauso zu wie auf Israel, das den Niedergang der Kibbuz-Form samt seiner Gemeinschaftsidee erlebt. Estland präsentiert sich stolz als Land der individuellen Eigenheime, die Niederlande vereinen alle historisch wertvollen, aber leer stehenden Gebäude zu einem blauen Schaumstoff-Dach.

Am eindrucksvollsten treibt die Sorge um die architektonische Hinterlassenschaft Rem Koolhaas um, der mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Koolhaas dokumentiert die Abrisswut, mit der die Nachkriegs-Architektur samt ihrer Vision eines sozialen Bauens entsorgt wird. Deutschland ist hier zentral, mit Plattenbauabrissen von Eisenhüttenstadt bis Schwerin und der Zerstörung des Palasts der Republik.

Wie eine Welt damit umgeht, dass gleichzeitig immer mehr als bewahrenswert empfunden wird, auch dieser Frage geht Koolhaas nach. Als gelungene Bewahrung präsentiert er die Neugestaltung des Münchner Hauses der Kunst, bei der die von Paul Troost entworfenen Schreibtische, Sessel, Lampen und Hinweisschilder aus dem Keller geholt wurden.

Der Umgang mit dem ungeliebten Nazi-Erbe ist überhaupt erneut eine Art deutsches Spezialthema in Venedig. Hatte doch der Präsident der Deutschen Architektenkammer sich mit dem Vorschlag hervorgetan, den durch Nazi-Umbau belasteten Pavillon endlich abzureißen. Auch das Münchner Büro Walverwandtschaften, das die Einrichtung besorgte, hatte seine liebe Mühe mit den Geistern der Geschichte. Die Wohlfühl-Architektur mit roten Wänden, Spiegelkabinett und romantisch im Sommerwind wehenden Vorhängen hin zur Lagune betont das Monumentale der Architektur eher, als sie zu zähmen. Dass Kuratorin Cordula Rau auch noch einen Katalogbeitrag von Andreas Neumeister ablehnte, der sich mit der NS-Zeit beschäftigt, macht die Sache vollends fatal.

Dabei hätte alles so schön sein können. „Sehnsucht“ hatten die Kuratoren als Thema gewählt und 180 Architekten um ihre Sehnsuchtsfantasien gebeten. Die hängen nun im „Roten Salon“ – und erinnern an die zahlreichen misslungenen Einsendungen zum Wettbewerb für das Einheitsdenkmal in Berlin. Da träumt man von Reiterstandbildern, einem Schaukelstuhl auf der Veranda, einer Riesen-Heidi oder einer guten Flasche Wein, von Schmetterlingen, Wolken, weiblichen Formen oder Schinkels Bauformen (Franco Stella).

Dabei gibt es genug Sehnsuchtsmaterial an der Lagune. Die Terrasse der neu renovierten Ca Giustiniani, Sitz der Biennale-Verwaltung am Canale Grande, mit traumhaftem Blick auf San Giorgio Maggiore. Die neu eingerichtete Biennale-Bibliothek in den Giardini, ein Rückzugsort im Trubel. Oder ein Treffen mit dem sehr kranken, aber gedankensprühenden Frank O. Gehry, der auf die Frage nach seinen Träumen schlicht erklärt, er würde gern noch etwas länger leben. Sehnsucht gibt es in Venedig quasi gratis dazu.

bis 21.11., Infos: www.labiennale.org

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