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Architektur: Der Maßstab

David Chipperfield zeigt in London seine Entwürfe für Berlins Neues Museum.

John Soane (1753–1837) ist der bedeutendste englische Architekt der Aufklärung, und sein als Museum bewahrtes Haus in exquisiter Lage zählt zu den Londoner Wallfahrtsorten jedes Architekturinteressierten. Dies auch, weil der überwiegende Teil seines sechs Jahrzehnte umspannenden Lebenswerks längst vernichtet ist, abgerissen in viktorianischen Zeiten und auch noch zu Beginn des 20. Jahrhundert. Insofern schwingen mehrerlei Assoziationen mit, wenn David Chipperfield seinen Umbau des Neuen Museums Berlin jetzt ausgerechnet in den romantisch verschachtelten Räumen des Sir John Soane’s Museum vorstellt.

Soanes Werk lebt fort in den exquisiten Aquarellen seines Mitarbeiters Joseph Michael Gandy, die die Wände des Hauses zieren. Sie führen die Bauten und Entwürfe vor und verklären sie zugleich. Von solcher Suggestivkraft sind Chipperfields Zeichnungen nicht; wohl aber können sie sich in ihrer Genauigkeit mit dem architektonischen Verständnis Gandys messen.

Auch was den Umgang mit historischer Architektur betrifft, lassen sich verwandtschaftliche Bezüge ausmachen. Soane war geprägt vom Erlebnis der Antike, die er als Bildungsreisender in Rom studiert hatte. Antike Formen entwickelte er zu eigenwilligen Kompositionen weiter; seine Raumschöpfungen, in denen die Führung des natürlichen Lichts immer bedeutsamer wurde, müssen faszinierend gewirkt haben. Beinahe nichts ist davon erhalten. Sollte das eine subtile Anspielung auf den Zustand des Neuen Museums sein, wie Chipperfield es zum Zeitpunkt seiner Beauftragung 1997 vorfand?

Für den gebürtigen Londoner Chipperfield, der auch in seiner Vaterstadt ausgebildet wurde, muss die kleine, feine Ausstellung eine besondere Ehre sein. Soane, vor neun Jahren in einer großen Ausstellung der Royal Academy einem breiten Publikum vorgestellt, das sich ansonsten nicht in die skurril verwinkelten Räume des Museumshauses vorwagt, ist ein architect’s architect, ein bewundertes Vorbild innerhalb der Profession.

Mit der Präsentation seiner Berliner Pläne stellt sich Chipperfield genau diesem Maßstab. Und zitiert in seinem Text für das Begleitheft John Ruskin, den Begründer einer moralisch fundierten, gegen den Historismus seiner Zeit gerichteten Denkmalsbewahrung. Allerdings konstatiert Chipperfield als aufgeklärter Zeitgenosse, dass „Rekonstruktion, Konservierung, Restaurierung und Reparatur alle zu unserer Verfügung“ stünden. Keiner Methode komme „moralische Überlegenheit“ zu. Beim Neuen Museum sei es ihm darum gegangen, die verbliebenen Teile dieser „piranesischen“ Struktur „weder zu imitieren noch zu verunstalten“.

Verwundert stellt die Zeitschrift des renommierten Royal Institute of British Architects in ihrer David Chipperfield gewidmeten Juli-Ausgabe fest, der Londoner sei „vielleicht unser bestgehütetes Architekturgeheimnis“. Und fragt angesichts des Mangels an dem Neuen Museum vergleichbaren Aufträgen in Großbritannien: „Warum machen wir es unserem besten Talent derart schwer?“

Das wird die Ausstellung allein sicher nicht ändern. Wohl aber zeigt sie, in welchem historischen Rahmen der in Berlin viel kritisierte Chipperfield gesehen werden will. Und was steht im „RIBA Journal“? „He’s the ultimate architect’s architect.“ Einer, „der sich niemals verkauft hat, sondern einfach fortfährt, seine Architektur zu vervollkommnen“. In Berlin ist solche Baukunst zu erleben.

Sir John Soane’s Museum, 13 Lincoln’s Inn Fields, bis 6. 9., Begleitheft 2, 50 Pfund. RIBA Journal, July 2008, 5, 50 Pfund

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