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Kultur: Architektur der Verunsicherung

Beim Holocaust-Mahnmal wird heute die letzte Stele gesetzt. Und auch in Wien hat Peter Eisenman einen Stelenwald errichtet

Es ist dunkel, die Decke niedrig, labyrinthisch die Anlage. 30 quadratische Säulen, von innen beleuchtet, dienen als Informationspunkte. Die Decke ist an manchen Stellen durchbrochen, auf dem Fußboden ein Wegkreuz aus weißen Streifen, immer wieder durchschnitten vom Säulenraster.

Nein, es handelt sich nicht um den „Ort der Information“ des Berliner Holocaust-Mahnmals. Und doch erinnert die Ausstellungsarchitektur, die Peter Eisenman selbst für seine Retrospektive im Wiener Museum für Angewandte Kunst entworfen hat, an die Ästhetik des Berliner Gedenkorts. Ja, auch die Art der Informationsvermittlung, wie sie Wien von heute an vorführt, gibt einen Vorgeschmack darauf, was in Berlin zu erwarten ist.

Die Ausstellung kommt zur rechten Zeit. Gestern Abend sprach Eisenman in Wien zur Eröffnung, heute ist er dabei, wenn auf dem Mahnmalgelände die letzte Stele gesetzt wird. Das meistdiskutierte Bauprojekt der Berliner Republik ist damit nach fast 15 Jahren Debatte äußerlich vollendet. 2750 Betonstelen sind in den letzten Monaten unweit des Brandenburger Tors aufgerichtet worden, der unterirdische „Ort der Information“ soll bis zur Eröffnung am 10. Mai 2005 fertig sein.

Es ist das Projekt seines Lebens geworden. Erst 1989 hatte der zuvor hauptsächlich als Theoretiker aufgetretene Architekt sein erstes Gebäude eröffnet, das „Wexner Center for Visual Arts“ in Columbus, Ohio. Seitdem entwirft der bekennende Fußballfan Stadien, Einkaufszentren, Kongresshallen, auch ein Haus in Berlin am Checkpoint Charlie. Doch 1999 gewann Eisenman den (zweiten) Wettbewerb für das Berliner Holocaust-Mahnmal – sein Partner, der Bildhauer Richard Serra, war zuvor ausgestiegen. Die Politik hatte den Architekten Kompromisse abverlangt – wie die Einbeziehung eines „Orts der Erinnerung“ – damit wollte sich Serra aus ästhetischen Gründen nicht abfinden . Der zunächst gekürte Entwurf der Berliner Architektin Christine Jacob-Marks, eine schiefe Ebene aus Beton , war vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl verworfen worden. Der Bundestag entschied sich schließlich für Eisenmans Entwurf. Seitdem gilt der Amerikaner als Spezialist für Gedenkarchitektur.

Keine leichte Aufgabe: Alles, was mit dem Mahnmal zu tun hat, die umstrittene Plakataktion des Kuratoriums wie auch die Debatte um die Beteiligung der zur NS-Zeit mit der Zyklon-B-Herstellung betrauten Firma Degussa, hat das Zeug zum Politikum. Dabei tat der gern gegen politische Korrektheit aufbegehrende Architekt sein Bestes, Betroffenheit zu vermeiden. Indem er Witze über jüdische Zahnärzte und Degussa erzählt oder die Wirkung des Mahnmals mit der von Wagners Musik vergleicht.

Eisenman betont gern, der Mahnmal-Entwurf sei für ihn ein Auftrag wie jeder andere und er selbst zwar Jude, aber als amerikanischer Architekt kein Spezialist für jüdische Fragen. Doch dass seine Architektur, die so wuchtig und gleichzeitig so bescheiden, so perfektionistisch wie reduziert daherkommt, das Bedürfnis nach Emotion wie nach Zeitlosigkeit erfüllt, wird offensichtlich nach einem Gang durchs Gelände. Angst, Einsamkeit und Klaustrophobie stellen sich ein in den labyrinthischen Gängen zwischen den geneigten Stelen, aber auch Ratlosigkeit und Verlorenheit.

Auch in Wien ist die Faszination einer Architektur zu erleben, die ihre Kraft aus Abstraktion und Symbolik speist. Das Holocaust-Mahnmal steht im Zentrum der Ausstellung, vier Säulen im Format der Berliner Stelen. Weiß und leuchtend heben sie sich in den Himmel, leicht gegeneinander geneigt. So hätte das Mahnmal ausgesehen, wäre es nicht aus grauem Beton, sondern zum Beispiel aus Marmor. Der Architekt wollte anfangs zumindest eine weiße Säule unter den grauen, eine feierliche Heraushebung – auch wenn Eisenman in Wien wie in Berlin gern von der Bescheidenheit seiner Mittel spricht. Aber der Bauherr war dagegen.

„Barfuß auf weiß glühenden Mauern“ hat der Architekt seine Raum-Installation in der Wiener Ausstellungshalle poetisch überschrieben – und betreibt bewusst die Verunsicherung des Besuchers, der sich im Wald aus 30 begehbaren Stelen schnell verirrt. Da gibt es Stelen, die leer bleiben oder nur eine weiße Sitzbank umfassen, andere sind gar nicht erst zugänglich, leuchten nur verheißungsvoll durch einen Spalt nahe am Boden. Manche Modelle sind nur durch Sehschlitze zu erahnen, die Blickhöhe und -ausschnitt vorgeben. Überhaupt geht es weniger um konkrete Planungen als um grundsätzliche Fragen der Architektur: Raum, Volumen, Achsen. Nicht das Modell oder der fertige Bau, das Diagramm bestimmt die Ausstellung.

Diagramme also schieben sich, wie bei der Säule für das „Wexner Center“, als Gitterwerk aus dem Raum heraus in den Himmel. Sie bilden Straßenachsen auf dem Boden einer anderen Säule, falten sich wie ein Vorhang um den Betrachter, vergrößern, verkleinern sich im Maßstab. Nur vier Modelle überhaupt gibt es zu sehen, alles aktuelle Entwürfe. Die gigantische „Kulturstadt“, die Eisenman für eine Hügelkuppe unweit von Santiago de Compostela entworfen hat, wird seit 2001 auch gebaut: vier Bauten, organisch in den Berg eingelassen, ein sanfter Schwung geht durch das Projekt. Ganz anders der Fernbahnhof für Neapel: futuristisch auseinander strebende Bahnlinien, ein gewelltes Dach, wie durch Geschwindigkeit verzerrt. Sinnliche, bildmächtige Architektur, mehr aus dem Bauch als aus dem Kopf entworfen. Seine Motive, hat Eisenman einmal erzählt, fallen ihm oft unter der Dusche ein.

Seine Herkunft als Theoretiker kann der Architekt dennoch nicht verleugnen. Eine Theorie allerdings, die weniger strenge Lehre als poetische Erfindung ist – und der Versuch, die Grundfragen der Architektur noch einmal neu zu denken. Eisenman wehrt sich in jedem Gespräch gegen Kitsch – und sucht doch stets Symbolformen, die starke emotionale Wirkungen haben. Für Wien bemüht er den 11. September als Wendepunkt: Die Anschläge auf das World Trade Center bedeuteten das Ende einer „Gesellschaft des Spektakels“. Nun sei es Sache der Architektur, eine „aktive Rolle in der Gesellschaft des Terrors“ zu übernehmen: Denn „erst in der Katastrophe liegt die Katharsis“, so der Architekt. Der Mahnmalentwurf für Ground Zero, mit dem Eisenman sich allerdings nicht durchsetzte, zeigt, wie das aussehen könnte: eine Rasterstruktur, vertikal in die Höhe gestellt, eine Himmelsleiter. Der Architekt wird seinen Ruf als Mahnmal-Spezialist so schnell nicht los.

DER ARCHITEKT

Peter Eisenman, geboren am 11. August 1932 in Newark/New Jersey , studierte in New York und Cambridge. Er gilt als wichtiger Architekturtheoretiker, war mit Derrida befreundet und gründete 1967 das New Yorker „Institute of Architecture and Urban Studies“. Seit 1980 hat Eisenman ein Architekturbüro in New York.

DAS MAHNMAL

1988 entsteht die Idee eines Holocaust-Mahnmals in Berlin. 1992 beschließt die Bundesregierung den Bau. 1995 wird ein erster Wettbewerb entschieden, 1999 entschließt sich der Bundestag für Eisenmans überarbeiteten Entwurf. 2003 ist Baubeginn, am 10. Mai 2005 soll das Mahnmal eröffnet werden. Kosten: 28 Millionen Euro.

DIE AUSSTELLUNG

„Barfuß auf weiß glühenden Mauern“ heißt die Eisenman-Retrospektive im Wiener Museum für Angewandte Kunst (bis 22. Mai 2005).

Christina Tilmann

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