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Architektur: Wohnen am Limit

Wie Bauwerke die Welt verbessern: Heute eröffnet in Venedig die 11. Architektur-Biennale mit dem Motto „Dort draußen“. Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Umwelt- und Zukunftsverantwortung der modernen Baukunst.

Man kann nicht jeden Montag eine neue Architektur erfinden, hat Mies van der Rohe auf Kritik an der Gleichförmigkeit seiner Entwürfe entgegnet. Dass man nicht einmal alle zwei Jahre eine neue Architektur erfinden kann, stellt die Architektur-Biennale von Venedig regelmäßig unter Beweis. Diesmal, bei ihrer 11. Folge, ehrt sie Frank Gehry mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Seine verbastelte Holzkonstruktion in der Seilerei des Arsenal erinnert an die Anfänge des Architekten, als er sich in Kalifornien lediglich mit preiswerten Materialien und Methoden beschäftigen konnte.

Zugleich aber zählt Gehry zu derjenigen Avantgarde, der die Biennale diesmal huldigt: „Dort draußen“ – so der Obertitel der Biennale – liegt der „Weg zu einer Architektur, die befreit ist von Bauten, um stattdessen die zentralen Aufgaben der Gesellschaft anzugehen“. In der endlos langen Seilerei hat Generalkommissar Aaron Betsky Entwürfe versammelt, die wie eine verspätete Antwort auf die gegenläufigen Grenzüberschreitungen bildender Künstler wirken: Installationen, spielerisches Design, Performance. Alles außer gebauter Architektur.

Das Ergebnis bleibt im Kleinklein einer folgenlosen Fantasie stecken. Das reale Baugeschehen, von Dubai bis Peking, bleibt ausgespart. In den Hallen am Arsenal kann man einem nackten Pärchen bei selbstvergessener Buchlektüre zusehen und Mozart aus versteckten Lautsprechern lauschen.

Einen anderen Weg suchen die Länderbeiträge, diesmal 56 an der Zahl, davon 30 in den Giardini. Meist geht es um die Umwelt- und Zukunftsverantwortung von Architektur. „Nachhaltigkeit“ lautet das bekannte Zauberwort, das, nähmen es die Biennale-Verantwortlichen ernst, diese denkbar unnachhaltige Veranstaltung zur Abschaffung verdammen müsste.

Der deutsche Pavillon, verantwortet von den beiden Jungstars des gerade einmal fünf Jahre alten Berliner Büros „raumtaktik“, Friedrich von Borries und Matthias Böttger, steht unter dem Thema „Updating Germany. Projekte für eine bessere Zukunft“. Man muss es den beiden 33-jährigen Bau-, Stadt- und Umweltplanern hoch anrechnen, dass sie sich nicht an der Architektur des ach so furchtbar nazistischen „Padiglione Germania“ vergangen haben, womit frühere Architekten und Künstler ihre Ideenarmut auszustellen pflegten. Stattdessen stellen sie zwanzig Projekte vor, um mögliche Antworten auf fünf Grundfragen zu geben, darunter: „Wie wollen wir leben?“ und „Was können wir tun?“ Das ist von einer Grundsätzlichkeit, die man getrost einem deutschen Nationalcharakter zurechnen kann. Doch es wird kein Zeigefinger erhoben, sondern mit den Methoden der Kommunikationstechnik gearbeitet. „Wir müssen den Fünf-Minuten-Besucher einfangen!“, erklärt von Borries in einem Schnellrundgang von druckreifer Beiläufigkeit. Der Mann ist eloquent, überzeugend, rundweg sympathisch, und wenn alle hiesigen Weltverbesserer so aufträten, müsste einem um die Zukunft des Standortes Deutschland nicht bange sein. Die Welt ist aus dem Gleichgewicht, das symbolisiert ein gigantisches, von der Decke des Pavillons herabhängendes Mobile, das sich eben nicht bewegt. „Dies ist keine Best-Practice-Ausstellung wie zuletzt, sondern zeigt die Tradition ökologischen Bauens in Deutschland“, sagt von Borries.

Schwarz-Grün müsste angesichts solch verantwortungsethischer Nachwuchskräfte keine Utopie bleiben, geht es einem durch den Kopf. Da wird ein Wehrmachtsbunker in Hamburg zum „Energiebunker“ umgeformt – „nicht mehr Kulturalisierung, sondern Ökologisierung“. Da werden die Lehmziegelformen des in Deutschland ausgebildeten Francis Kéré gezeigt, der in seinem Heimatdorf in Burkina Faso eine Schule mit den Bewohnern gebaut hat. Und da wird auch, anhand des „Pink Projekt“ des Berliner Edeldesignbüros Graft, das „kommunikative Potenzial von Architektur“ aufgerufen, wie von Borries einfließen lässt.

Ein Haus weiter im britischen Pavillon hat die nüchterne Darstellung von Architektur ihre Heimstatt. Wohnhäuser, mal gestapelt sozial. Mal aneinandergereiht für die Mittelschicht. Mal für einen wohlhabenden Urbanite im sündteuren Chelsea: Das führt die unter anderem von David Chipperfield mitverantwortete Auswahl an Modellen und Hochglanzaufnahmen vor. Auch das: konservativ.

Frankreich, das dritte Land im Bunde der beieinanderstehenden Alt-Pavillons auf leichter Anhöhe, muss es wieder einmal hi-tech-modern machen. Nur dass das dramatisch abgedunkelte, von flirrenden Videoprojekten erhellte Ambiente eher für Reizüberflutung steht als für Informationsvermittlung. Wehmütig denkt man an die fröhliche Großfamilie zurück, die beim letzten Mal im französischen Pavillon kochen, leben und womöglich auch lieben durfte.

Ausgerechnet das kleine Estland, das über kein eigenes Gehäuse in den Giardini verfügt, sorgt für einen politischen Paukenschlag, wie er ansonsten auf dieser politisch hyperkorrekten Veranstaltung peinlichst gemieden wird. Eine grellgelbe Pipeline haben die Esten gelegt, vom russischen Pavillon quer über den Hauptweg bis zum deutschen, um so auf das umstrittene Vorhaben der Ostsee-Gasleitung und ihre eigene Statistenrolle beim Pakt der Großen zu verweisen. Als Nebeneffekt zeigt die Pipeline, wie verschieden beide Länder auf das Biennale-Motto reagierten: deutscherseits aufs Ernsthafteste bemueht, russischerseits – rein gar nicht.

Es scheint, dass die Kommissare des russischen Pavillons – der eine, Pavel Choroschilow, sitzt immerhin an einer Schaltstelle des Kulturministeriums – an nichts anderes gedacht haben, als ihre Beziehungen zu den allmächtigen Investoren zu stärken. Die Auswahl der Projekte folgt keinerlei fachlichen Kriterien. Vielmehr wurde nach den Investoren ausgewählt, die hinter den gezeigten Projekten stehen – und die die Präsentation in Venedig denn auch finanziert haben. Wie zur Bestätigung erhalten sie einen eigenen Katalog, der ausschließlich ihren Vorhaben gewidmet ist; einerlei, ob überhaupt jeweils ein verantwortlicher Architekt benannt werden konnte.

Ansonsten springt diesmal die Abwesenheit von Investoren, überhaupt von ökonomischen Zwängen ins Auge. Im zentralen Padiglione Italia ist als roter Faden die Sorge auszumachen, wie Natur und menschliche Besiedlung versöhnt werden können. Die pseudowissenschaftliche Feldforschung, mit der Rem Koolhaas seit – oder besser vor – Jahren Furore macht(e), hat überall Nachahmer gefunden, und so findet sich in mehreren Sälen des mächtigen Gebäudes grafisch aufgehübschter Statistik- und Fotokram, der jedwede Hypothese zu stützen vermag. Mittendrin aber, im Hauptsaal, sägen und hämmern chinesische (Wander-)Arbeiter an Bambusrohren, aus denen sie eine wild aufstrebende Raumskulptur basteln. Ohne Technik. Eine derartige Inszenierung von Dritter Welt – oder der immer noch gängigen Vorstellung davon – ruft Bilder von Kolonialausstellungen ins Gedächtnis, wie sie bis in die 1930er Jahre hinein zur Begaffung „primitiver“ Völker üblich waren. Dass ausgerechnet die Erbauer des Pekinger Olympiastadions, Herzog & de Meuron, samt ihrem chinesischen Künstlerstar An Weiwei, verantwortlich zeichnen, dürfte den weltgewandten Schweizern noch lange als blanker Zynismus anhängen.

Immer vorausgesetzt, die Biennale wird tatsächlich als jener Wegweiser künftiger Architektur ernst genommen, den Betsky und Biennale-Präsident Paolo Barratta vor dem Bruchteil der 2800 akkreditierten Journalisten beschworen, der sich zur gestrigen Pressekonferenz einfand. Venedig ist noch stets eine große Spielwiese unter dem milden, milchigen Licht der Lagune gewesen, und unter dem diesmaligen Motto erst recht. Retrospektiv ist ausgerechnet der gewöhnlich so zukunftsbewusst gestaltete Nordische Pavillon: mit einer Einzelausstellung zur Kunst seines Erbauers, des mittlerweile 84-jährigen norwegischen Altmeisters Sverre Fehn. Da ist, in der Einheit von schwebender Pavillonarchitektur von 1962 und in Fotos und Modellen vergegenwärtigten Bauten des immer schon ökologisch korrekten Norwegers, die Ernsthaftigkeit früherer Tage zu bewundern. Es wirkt wie ein stummer Aufruf zur Bewahrung einer wertvollen Tradition. Dass man nicht alle zwei Jahre eine neue Architektur erfinden kann, wusste man. Was aber nicht nur der Nordische Pavillon, sondern cum grano salis die diesmalige Biennale insgesamt lehrt: Man braucht es auch nicht.

Venedig, Giardini und Arsenale, bis 23. November, täglich 10-18 Uhr. Katalog in fünf Bänden, 70 €. Katalog des deutschen Pavillons bei Hatje Cantz, 35 €, Begleitbuch bei Merve, 10 €. Mehr auf www.labiennale.org

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