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Armando, 1982, in voller Aktion. Die künstlerische Tätigkeit ist ihm ein Grundbedürfnis, am liebsten würde er an seinen Projekten durcharbeiten, bis sie fertig sind.

© Foto: Conny Meslier

Armando im Gespräch 1993: Jungens von der Straße

Armando kam mit einem DAAD-Stipendium 1979 nach West-Berlin, wo er als Maler den internationalen Durchbruch erlebte. Ein Porträt aus dem Jahr 1993.

"Um international Erfolg zu haben, muß man die Niederlande verlassen. In den Niederlanden kann man der größte Held sein, ist dann aber im Ausland noch lange nichts." Armando ist 1979 mit einem Stipendium des Künstlerprogramms des DAAD an die Spree gekommen und hier geblieben. Berlin brachte ihm den internationalen Durchbruch als Maler. In Erinnerung sind auch seine Feuilletons aus Berlin, die er für das "NRC Handelsblad" schrieb und von denen einige in dieser Zeitung standen. Sie gingen ein in "Die Wärme der Abneigung", sein erstes Buch in deutscher Übersetzung. Aber in Deutschland ist er in erster Linie noch immer als Maler bekannt. "Ich habe auch in Holland anfangs zweierlei Publikum gehabt. Die einen kannten mich als Dichter und Schriftsteller, die anderen als Maler. Durch die Texte aus Berlin wurde daraus ein Publikum." Jetzt ist "Straße und Gestrüpp", ein aufregendes, weitgehend autobiographisches Buch aus dem Jahre 1988, auf deutsch erschienen. Es sind kurze Prosaskizzen, knappe Sätze aus der Perspektive eines Jungen zwischen zehn und 15 Jahren, aus der Erinnerung des Erwachsenen von heute notiert. Erinnerungen an eine bedrohliche, "schuldige Landschaft", an ein Lager, an die Soldaten, den Krieg, den Tod.

Armando wurde 1929 in Amsterdam geboren, erlebte als Kind in Amersfoort die deutsche Besatzung und das Durchgangslager Amersfoort aus nächster Nähe. Nach dem Krieg schlug er sich als Violinist in verschiedenen Zigeunerorchestern und Jazzcombos durch, boxte, arbeitete als Journalist für die "Haagse Post", schrieb Gedichte und kurze, knappe Prosa, wirkte in der Künstlergruppe "nul" mit und erregte die Gemüter mit dem Buch "Die SSler" über die niederländischen SS-Freiwilligen, die er zusammen mit Hans Sleutelaar kommentarlos interviewt hatte. "Ich hatte plötzlich ein großes Interesse an den Tätern aus zu großer Anteilnahme für die Opfer. Ich hatte mein Thema gefunden." Und plötzlich stehen Armandos Schwarz-Weiß-Gemälde, die bedrohlichen, unheimlichen Bilder, die er "Fahnen" nennt, in direktem Zusammenhang mit seinem schriftstellerischen Werk, mit der Erinnerung an den Krieg mit seinem Grauen und den alltäglichen Banalitäten, mit den Büchern mit vielsagenden Titeln wie "Das Gefecht", "Kriegsgewühl" und "Zucht".

Armando möchte nicht den Maler gegen den Schriftsteller ausspielen, er ist beides zur gleichen Zeit. Und noch viel mehr. "Ich sehe mich selbst als Gesamtkunstwerk, alles hat mit demselben Thema zu tun", sagt er nicht ohne Selbstbewußtsein und dann auf deutsch: "Es wohnen verschiedene Seelen in meiner Brust." In seinen Theaterstücken wie "Herrenleid" - längst ein Mythos in Holland - läßt er Humor zu, aber niemals in den Bildern, "sie müssen unnahbar sein." "Kunst war für mich Freiheit, nicht Verfeinerung, ich wollte immer etwas zu tun haben." Man merkt ihm die Energie an, wie er breitbeinig auf dem Stuhl sitzt, fast ein wenig auf der Lauer. Voller Tatendrang. "Der Krieg war für uns 1945 nicht vorbei. Das ging weiter. Der Krieg hat uns verwildert."

Er zeigt kleine vergilbte Fotos. Armando mit Violine. "Da war ich etwa 16." Und er zeigt ein Foto mit blauem Auge. "Das kommt vom Boxen." Er lacht. "Wir waren Jungens von der Straße." Ihnen gilt seine ganze Zuneigung, ihnen ist im Buch ein Kapitel gewidmet, den Autoschlossern, den Handwerkern. "Ich vermisse sie manchmal, die Jungen von der Straße", heißt es in dem Buch. Und mit denen, die damals nicht mitspielen durften, mit den Stubenhockern, bekam er später zu tun, in Zeitungen, Verlagen, im Kulturbetrieb. "Verrückt, nicht wahr?" Aber Armando bleibt am Boden, ist immer für eine Überraschung gut. Er zeigt Fotos vom vergangenen Jahr. Beim Sinti-Festival im Oktober spielte er Geige in einem Sinti-Orchester. Seit seinem 60. Geburtstag spielt er wieder Violine, "erst stammelnd, dann aber hart trainiert".

Jetzt ist er dabei, eine kleine Combo in Berlin zu gründen, "Tanta Mirando", ein bißchen Jazz, ein bißchen Zigeunermusik, "um vielleicht, das ist die Hoffnung, in einem Hotel wie dem ,Esplanade' zu spielen, wie das früher üblich war." Aber das ist noch nicht alles. "Seit sechs, sieben Jahren bin ich auch Bildhauer", bekennt er und zeigt Fotos seiner Bronzeskulpturen. Mächtige Räder, zwischen zwei und vier Meter hoch. Das Rad der Geschichte. Armando bleibt bei seinem Thema. "Ich würde gerne eine große Skulptur für Berlin schaffen." Und dann sind da noch vier Bücher, an denen er arbeitet, Märchen, ein Buch über "Vorfälle in der Wildnis", über Amerika, aber auch über den Krieg. Schließlich lädt er in den Niederlanden alte Profi-Boxer zum Essen ein und sammelt ihre Geschichten für ein Buch. Überhaupt diese Geschichten. Armando sammelte schon 1979 in Berlin Erinnerungen an die Nazi-Zeit, Gesprächsfetzen, alltägliche Banalitäten, die "petite histoire", und dann fährt er auf deutsch fort: "Wo all das Grauen zum Vorschein kommt zwischen schwarz und weiß."

Der Artikel ist zuerst am 20. Januar 1993 im gedruckten Tagesspiegel erschienen.

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