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Kultur: Arnold Böcklin-Retrospektive: Des Meeres und der Triebe Wellen

"Wundervoller Böcklin, wie ein Luft- und Wasserbad erfrischend" - nur zögernd mag man der Begeisterung des Kulturwissenschaftlers Aby Warburg folgen, der diese Zeilen nach einem Besuch des Baseler Museums 1898 in sein Tagebuch schrieb. Erfrischend?

"Wundervoller Böcklin, wie ein Luft- und Wasserbad erfrischend" - nur zögernd mag man der Begeisterung des Kulturwissenschaftlers Aby Warburg folgen, der diese Zeilen nach einem Besuch des Baseler Museums 1898 in sein Tagebuch schrieb. Erfrischend? Die antiken Fabelwesen auf mittelformatigen Ölgemälden, die wehmütigen Porträts und düsteren Landschaften, die den Nazis so gefielen - mehr als ein kunsthistorisches Pflichtprogramm? Anlässlich seines 100. Todestages (am 16. Januar) und über 20 Jahre nach der letzten Retrospektive hat sich das Kunstmuseum Basel an eine Erklärung gewagt für die jahrhundertelange Faszination der Werke Arnold Böcklins.

Anhand von 90 Bildern aus dem Zeitraum von 1848 bis 1900 zeigt die Ausstellung die Entwicklung Böcklins vom Spätromantiker zu einem der wichtigsten Vertreter des deutschen Symbolismus. Seine aufs Wesentliche konzentrierten mediterranen Landschaftsbilder, auf denen sich Figuren der antiken Naturmythologie tummeln, wie der flötende Pan im Schilf oder eine keusche Nymphe mit aufblitzendem Busen, waren wegweisend für kommende Malergenerationen, brachten sie doch Allegorien mit surrealem Zauber und mythischer Melancholie in die Malerei.

Zu den Höhepunkten der Baseler Schau zählen fünf Selbstbildnisse und das verschollen geglaubte Spätwerk "Die Nacht", das erst kurz vor Beginn der Ausstellung wiedergefunden wurde. Am spektakulärsten aber ist ein Raum, der erstmals nebeneinander drei - der insgesamt fünf - Versionen von Böcklins berühmtestem Gemälde zeigt: "Die Toteninsel". Spätestens hier zieht die stimmungsvolle Malerei Böcklins den Besucher in ihren Bann. Eine Variante aus dem Jahr 1880, in einem erstaunlich dunklen Grundton, gehört dem Kunstmuseum Basel. Die im gleichen Jahr entstandene frühere Version hat ihren Platz heute im Metropolitan Museum in New York. Sie konnte nicht entliehen werden, dafür aber die dritte, die sonst in Berlin hängt, und die fünfte, eine Auftragsarbeit für das Museum Leipzig. Die vierte Fassung ist im Zweiten Weltkrieg verschollen.

Das Bild strahlt Ehrfurcht und Ruhe aus: Der mit Zypressen bewachsenen Insel nähert sich - auf jeder Fassung ein Stückchen weiter - ein Ruderboot mit Fährmann. Eine kleine, gegenüber stehende Figur im weißen Umhang begleitet einen weißen Sarg. Dieses Bild gehört zu den meist reproduzierten Kunstwerken seiner Zeit, traf es doch mit seinem melancholischen Grundton genau das Lebensgefühl einer Epoche. Der tiefe Horizont und das ruhige Wasser vermitteln den Eindruck endloser Weite und Verlassenheit, der damit auch zum Sinnbild für das Gefühl des einsamen und weltflüchtigen Künstlerheroen geworden ist. Ein Motiv, das später mehrfach in Musik, Literatur und im Film interpretiert worden ist.

Böcklin war ein unruhiger Geist: 1827 in Basel geboren, studierte er gegen den Widerstand seines Vaters Landschaftsmalerei bei Johann Wilhelm Schirmer an der Akademie in Düsseldorf. Im Laufe seines Lebens verschlug es ihn nach Rom, München, Weimar, Florenz, Zürich und San Domenico nahe Fiesole, wo er 1901 starb. 1853 heiratet Böcklin die junge Italienerin Angela Pascucci. Die Familie muss Zeiten großer Armut überstehen und verliert acht von vierzehn Kindern durch Krankheiten. Auch der Maler selbst erkrankt an Typhus, bevor Ludwig I. 1859 mit dem Erwerb des Gemäldes "Pan im Schilf" für die Neue Pinakothek in München für eine Wende in dessen Leben sorgt. Er wird Professor an der Kunstakademie Weimar, die finanziellen und gesundheitlichen Krisen sind damit dennoch nicht überwunden.

Der umfassend gebildete Böcklin liebte die Musik und die Literatur - dem Katalog zur Baseler Ausstellung ist ein Beitrag der akustischen Dimension in Böcklins Werk gewidmet. Und er inspirierte andere: Dichter wie Conrad Ferdinand Meyer, den jungen Hofmannsthal, Gerhart Hauptmann. Zugleich war Böcklin lange ein umstrittener Maler, der als "Ästhet des Hässlichen" galt und dessen Gemälde als "schrill" empfunden wurden. Erst im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begann man ihn als größten deutschen Maler seiner Zeit zu feiern: Böcklins fantastische Gemälde, die ohne Studien in der Natur entstanden, galten als Vorreiter des aufkommenden Jugendstils. Später vereinnahmten die gleichen Konservativen, die seine Gemälde anfangs als "unnaturalistisch" abgelehnt hatten, den "nordisch-seelenvollen" Ausdruck für ihre nationalistischen Interessen als "germanische Gemütsmalerei" - als Gegenposition zu den ungeliebten französischen Impressionisten. Kritiker wie Julius Meier-Graefe jedoch stießen sich besonders an Böcklins symbolistischem Spätwerk. Die allgemeine Begeisterung für das Werk Böcklins interpretierte er als Ausdruck kulturellen Niedergangs. Erst Surrealisten wie Max Ernst näherten sich dem fantasievollen µeuvre erneut unbefangen.

Böcklins Werk bleibt bis heute durch die spätere Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten stigmatisiert. Großzügig tauschte die Nationalgalerie in Berlin 1936 impressionistische Gemälde, um Werke von Caspar David Friedrich oder Böcklin zu erhalten; Hitler selbst besaß elf Bilder des Malers.

Auch wenn ein Teil dieser Arbeiten - darunter das von ursprünglicher Sinnlichkeit geprägte Bild "Triton und Nereide" - bis heute verschollen ist, bietet die Berliner Nationalgalerie für den, dem der Weg nach Basel, Paris oder München zu weit ist, nach der Ausstellungstournee wieder die Begegnung mit zahlreichen Gemälden Böcklins. Die Hauptwerke "Selbstbildnis mit fiedelndem Tod" oder die "Toteninsel" gehören zwar zu den schwermütigen Bildern im Gesamtwerk, dennoch kann man sich einen kurzen Augenblick lang Aby Warburg nahe fühlen. Wie treffend war der Satz für Böcklins Grabstein ausgesucht: "Non omnis moriar" - "Nicht alles von mir wird sterben".

Katrin Wittneven

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