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Kultur: Auch mal brutal sein

Die Dänin Susanne Bier über ihren Film „Brothers“, Geschlechterrollen, Familienkatastrophen und das Gezänk ihrer männlichen Dogma-Kollegen

Frau Bier, hassen Sie Familien?

Ich liebe Familien.

Man könnte denken, Sie hassen Familien. Sie zerstören sie in Ihren Filmen.

Ich zerstöre sie, aber es entstehen auch neue. Familien sind nicht etwas Konformes, in ihnen wächst eine Energie, die Veränderungen will. In „Open Hearts“ und „Brothers“ geht es darum, verschiedene Arten von Liebe innerhalb einer erweiterten Familie unterzubringen.

In beiden Filmen sind es Katastrophen von außen, die die Familien ändern. Eine innere Energie ist da nicht zu sehen.

Wenn Sie eine Bombe in einen Felsen werfen, dann gibt es ein Loch, das ist alles. Aber wenn Sie die Bombe in lebende Materie werfen, hat das Konsequenzen. Alles, was fragil war, wird sich verändern. Die Katastrophen in meinen Filmen lösen Umwälzungen aus, die ohnehin gereift sind. Das ist positiv.

Katastrophen haben auch den Vorteil, dass die Betroffenen nie schuldig sind.

In der Weltgeschichte gibt es Leute, die sind zu 100 Prozent schuldig. Aber deren Hintergrund interessiert mich nicht. In meinen Filmen geht es um eigentlich gute Menschen, die plötzlich Dinge tun, mit denen sie andere verletzen. Sie bleiben unschuldig mitten in der Schuld.

Hätten Sie nicht Lust, auch mal böse Charaktere zu erfinden?

In meinem nächsten Film gibt es eine sehr zweideutige Figur, eigentlich auch eine gute. Aber sie glaubt, sie hätte Macht über andere. Gucken Sie doch nur auf Ihr eigenes Leben: Jeder tut Dinge, die er nicht hätte tun sollen, selbst wenn er es nur gut meint. Vieles, was böse erscheint, ist nur dumm.

Die Katastrophen in Ihren Filmen: Den Männern widerfahren sie erst physisch, den Frauen psychisch. Fühlen Männer erst was, wenn ihr Körper verletzt wird?

Männer haben mehr Angst vor Veränderungen als Frauen. Ich kenne viele Männer mit ziemlich langweiligem Leben. Sie stehen vielleicht nicht so gut mit ihren Frauen, aber sie ändern nichts an ihren Verhältnissen. Vielleicht weil der Aufwand sie selbst zerstören würde.

Frauen sind mutiger?

Frauen verletzen, und damit hat es sich. Sie sind rauer, wenn es ernst wird.

Ist „Brothers“ eine Variation von „Open Hearts“ oder eher eine Neuerfindung?

Eine Weiterentwicklung. Es ist eine spezifische Neugierde, die mich treibt – zusammen mit Anders Thomas Jensen, mit dem ich die Drehbücher schreibe. Es geht um die Chemie zwischen Männern und Frauen, Eltern und Kindern. Um Verlust und Verzeihen. Davon sind wir besessen.

Man könnte „Brothers“ aber auch linear politisch verstehen.

„Brothers“ ist kein politischer Film. Wir interessierten uns vielmehr für ein fundamentales Dilemma: Wo ist die moralische Grenze eines Menschen, was würde er niemals tun? Ich wollte einen brutalen Film machen.

Meinen Sie damit das schreckliche Kriegsereignis oder Michaels Verhalten danach?

Vieles kann brutal sein. Denken Sie an Michaels Erfahrung, nach Hause zu kommen und sich dort völlig fremd zu fühlen. Abgetrennt von allem, was man liebt. Auch sein Vater ist sehr brutal. Ich mag ihn. Es steckt viel Schmerz in ihm.

Die Kinder in Ihren Filmen sind so etwas wie Katalysatoren der Wahrheit.

Auch Kinder sind sehr brutal. Aber sehr verletzlich. Ich schildere Kinder sehr realistisch, als ganze Personen. Das Problem sind die Kinder in allen anderen Filmen. Die süßen, charmanten Kinder dort, das ist alles Eiskrem. Oder die bösen Geisterkinder, aber das ist bloß Genre-Futter.

Haben Sie Kinder?

Einen Sohn, der ist fünfzehn, und eine neunjährige Tochter. Wir leben nicht ganz traditionell. Aber sehr glücklich.

In „Open Hearts“ und „Brothers“ scheint Überleben manchmal nur eine andere Form von Tod zu sein.

Nur am Anfang. In „Open Hearts“ ist das besonders klar: Der Gelähmte akzeptiert sein Leben und gibt die Liebe frei. Auch in „Brothers“ gibt es eine Chance. Es geht um das Reden, wenn man schon eine Tat nicht rückgängig machen kann. Es geht um das Zuhören und Teilen, darum, den Teil einer Last zu tragen.

Wenn Sie sich an das dänische Dogma-Experiment erinnern: Was war stark? Und was lassen Sie gern hinter sich?

Stark waren die Themen. Die Nacktheit der Gefühle. Das hat mich sehr beeinflusst. Andererseits: Den Trash-Look von Dogma habe ich satt.

War Dogma zuletzt auch ein Männer-Frauen-Problem? Die Regisseure erfanden Regeln, die die Regisseurinnen dann übertreten?

Wir Frauen haben die Dogma-Regeln befolgt, aber interpretiert. Erst als unsere Filme großen Erfolg hatten, ritten die Dogma-Gründer ihre terroristische Attacke gegen unseren etwas freieren Umgang mit den Regeln. Plötzlich wurden sie knickerig und neidisch. Und auch ein bisschen dumm. Wie Jungs, die sich in ihrem kleinen Königreich bedroht fühlten. Da haben wir sie einfach in ihrem eigenen Saft schmoren lassen.

Das Gespräch führte Jan Schulz-Ojala.

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