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Kultur: Auf dem Fließband der Geschichte

In einem verrottenden Industrieareal entsteht ein Theaterstück nach dem Roman „Union der festen Hand“

„Wir sehen nur noch die Kadaver“, sagt Stephan Stroux und schaut betrübt in die leergeräumte Weite einer alten Montagehalle. Vor seinem geistigen Auge sieht er bereits die langen Tischreihen, die Girlanden, Fahnen und Festredner, mit denen er hier die „Jahrhundertfeier der Industrie“ in Szene setzen will – eine Selbstbeweihräucherung der deutschen Wirtschaftselite am Vorabend der nationalsozialistischen Machtergreifung. Sie soll den Schlusspunkt setzen unter ein „poetisches Spektakel“, das Aufstieg und Fall der deutschen Arbeiterbewegung nacherzählt. „Am Ende soll der Arbeiter auf einem Fließband im Dunkeln entschwinden“, schwärmt Stroux.

Das Unzeitgemäße wird vom Lauf der Geschichte entsorgt, so soll es aussehen. Wobei die Industrieruine des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks (RAW) an der Warschauer Straße ihre eigene, listige Ironie entfaltet. Denn ganz so tot, wie man meinen könnte, ist der ausgeweidete Hallenkomplex keineswegs. Sei es ein verrottetes, im Werkboden eingelassenes Stahlförderband, auf dem Wagenräder, Achsen und anderes Gerät in die benachbarte Radsatzdreherei transportiert wurden, oder Jahrzehnte alte Neonröhren – die Truppe um Stroux hat sie wieder in Gang gesetzt, um an eine Ära des Arbeitskampfs, der Streiks und Barrikaden zu erinnern, deren letztes Kapitel dieser Tage aufgeschlagen zu werden scheint.

Vielleicht hat der weißhaarige 58-jährige Theatermann das geahnt, als er den 500-Seiten-Roman „Union der festen Hand“ von Erik Reger für die Bühne adaptierte. Angesichts des politischen Klimas, in dem über Zukunftsmodelle der Arbeit nachgedacht, die Rolle der Gewerkschaften in Frage gestellt und die innerbetriebliche Mitbestimmung ausgehebelt wird, klingen Sätze aus der Weimarer Republik jedenfalls wieder irritierend aktuell: „Wir können dazu beitragen, dass gewisse Gesetze dem Namen nach durchkommen, ohne dass ihre Idee durchkommt“, heißt es. „Das Ziel ist die Zerschlagung der Gewerkschaften.“ Oder: „Die Sozialdemokratie ist in der Regierung abgenützt worden, jetzt ist der Augenblick da, sie hinauszustoßen, und dazu braucht man einen Popanz, der die Bürgerlichen in Schach hält.“ Es ist das machtpolitische Einmaleins des Großkapitals, glaubt Stroux. Und der Clou ist, dass er dessen Rhetorik nicht erst zu erfinden brauchte.

Der ehemalige Pressereferent des Krupp- Konzerns Hermann Dannenberger montierte Ende der Zwanzigerjahre historische Zitate zu einem episodischen Gesellschaftsroman. Das Buch „Union der festen Hand“ veröffentlichte er unter dem Pseudonym Erik Reger. Es ist, obwohl weitgehend vergessen, eines der aufschlussreichsten Zeugnisse der Neuen Sachlichkeit und wurde 1933 von den Nationalsozialisten verboten. Der spätere Tagesspiegel-Gründer Reger verarbeitete darin die Strategien von Konzernbossen wie Hugo Stinnes, Emil Kirdorf oder Friedrich Flick, den Klassenbegriff der erstarkenden Arbeiterschaft zu zerschlagen und aus Proletariern sozial befriedete Konsumenten zu machen. So sprach Gustav Krupp von Bohlen und Halbach schon früh davon, dass man die Arbeiter „gezielt verbürgerlichen“ müsse, um sie ruhig zu stellen.

Stroux hat aus dem literarischen Sozialpanorama ein vom Hauptstadtkulturfonds mit 209 000 Euro gefördertes Stationendrama destilliert. Es soll die Tragödie des Kleinbürgertums („Sie wollten die Produktionsmittel an sich reißen, aber was sie bekamen, waren Betriebsräte“) dort wieder auferstehen lassen, wo sie ihren Ausgang nahm. Und so streift er über das verfallene RAW-Gelände, in dem von 1867 an Waggons der Reichsbahn repariert wurden. Die beeindruckende zentrale Säulenhalle wurde zuletzt als Lazarettkulisse für den Stalingrad-Film „Enemy At The Gates“ benutzt. Der Estrich trieft vor Öl, Rost und chemische Dämpfe haben die Giebelfenster stumpf gemacht. Noch heute werden nebenan Schlafwagen der Bundesbahn gewartet. Doch praktisch existiert der Komplex nur fort, weil die Immobilienfirma Vivico für ihren architektonischen Neuentwurf noch keinen Investor gefunden hat.

„Was Reger mit dem historischen Material gemacht hat, machen wir mit diesem Ort“, sagt Stroux. Die Fabrik werde nicht zum Kolorit degradiert, sondern als „Lebensraum“ ausgestellt. „Ich will das Theater nicht an einen Ort verpflanzen“, sagt Stroux, „sondern Geschichten aus diesem Ort entwickeln.“ Jagdszenen der Unternehmer-Clique, die eigentlich eines Waldes bedurft hätten, finden unter demselben eisengrauen Stahlträgerhimmel statt wie Barrikadenkämpfe und Tarifverhandlungen.

Nur die Arbeiter wohnen im Freien. Stroux steht im Außenbereich und deutet auf den gegenüberliegenden Osram-Lichtturm, der vom New Economy-Studio „Pixelpark“ bezogen werden sollte. Rechterhand, an der Rückwand eines realsozialistischen Kulturhauses hat Stroux’ Bühnenbildner das Stillleben eines Wohnzimmers errichtet, das auf den Überresten eines DDR-Bunkers steht. So sehr sind hier die Zeiten miteinander verschränkt, dass der Arbeiter als ewiger Obdachloser durch die Zeitläufte geistert.

Das Publikum wird nicht mit einem Theater konfrontiert, an dem es nur als Zuschauer Teil hat. Mit den Szenen wechseln auch die Schauplätze. Immer wieder werden die bis zu 170 Besucher „konditioniert“ (Stroux), also in die Position des Mitakteurs gedrängt, der die Ankunft des Kaisers erwartet, Lohnerhöhungen erkämpft oder als Aktionär die Ausschüttung von Dividenden einfordert. Und Stroux sagt: „Die wirtschaftlichen Vorgänge von heute sind das, was die Rosenkriege zu Shakespeares Zeiten waren.“

Der Regisseur, der seit 1985 vor allem im Ausland an szenischen Projekten gearbeitet hat, zielt mit seiner Montan-Montage mehr auf Assoziationen, als dass er schlüssige Thesen formulieren könnte. Welche Auswirkungen das „Ende der Arbeit“ auf das gesellschaftliche Gefüge einer Dienstleistungs- und Job-Kultur haben wird, kann er mit Regers Kapitalismus-Collage nicht beantworten. Aber darauf komme es auch nicht an. Mit Blick auf die polnischen Arbeitsmigranten der Jahrhundertwende sagt Stroux, sie hätten die Welt bald genauso wenig verstanden wie die Konzernwitwe Margarethe von Krupp, die den Arbeiter noch als ergebenes Familienmitglied betrachtet habe. Es ist diese Ahnungslosigkeit, die von den verstaubten, dem Untergang geweihten Werkhallen des RAW besonders schrill widerhallt.

Schon einmal war dessen Abriss geplant worden, um einer Fertighaus-Fabrik Platz zu machen. Von hier aus sollte auf Hitlers Wunsch hin ein System extra-breiter Eisenbahnspuren in die annektierten Ostgebiete verlegt werden. Auf Schienen sollten mobile Waggonhäuser, ja ganze Dörfer von über 400 Meter Länge, die Hitler persönlich gezeichnet hatte, gen Osten rollen. „Nach der Niederlage von Stalingrad waren diese Pläne vom Tisch“, weiß Stroux. „Und dann hat man einen Stalingrad-Film hier gedreht.“

„Union der Festen Hand“, Reichsbahnausbesserungswerk (Revalerstr. 99, Friedrichshain), Premiere: 15.5., weitere Aufführungen bis 7.6. tägl. außer Mo/Di, jeweils 20 Uhr. Karten tel. unter 254 89 100.

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