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Kultur: Auf die Tube drücken

Christiane Peitz hat schon wieder Depressionen Endstation. Sehnsucht.

Christiane Peitz hat schon

wieder Depressionen

Endstation. Sehnsucht. So fing es an. Folgten „Erniedrigte und Beleidigte“ sowie einige weitere Russen, nach dem Motto: Von Dostojewski lernen heißt überleben lernen. Seit Jahren nimmt die Berliner Volksbühne vorweg, womit sich die Leitartikler in diesen Tagen herumschlagen müssen: mit Kapitalismus & Depression. So heißt auch die Publikations -und Vortragsreihe, die Frank Castorfs Truppe vom Rosa-Luxemburg-Platz seit 1990 auflegt, mit so illustren Autoren wie Johann Gottlieb Fichte, Boris Groys, Andy Warhol und Jürgen Kuttner. „Kapitalismus & Depression“ – ein hochaktuelles Vademecum für verzweifelte Hauptstadt-Kassenwarte, Finanzminister und andere Pleitegeier.

Unsereins ist sowas ja gewohnt. Nicht nur wegen der Kindheit mit Caro-Kaffee und Grafschafter Goldsaft auf Omas Küchentisch. Depression, wie sie in den späten Fünfzigern von der Kriegsgeneration auf uns Nachgeborene überging, schmeckte wundersam klebrig und süß. Mehr noch: Die Liebe zum billigen Ersatzstoff anstelle des kostspieligen Originals hat ganze Kunstrichtungen befördert. Was wären die Collage, der Klassizismus oder die Postmoderne ohne den Sparzwang? Und was wäre die Kultur insgesamt – man denke nur an ihre Blüte in Städten wie Berlin oder New York während der letzten Weltwirtschaftskrise im frühen 20. Jahrhundert – ohne den Börsencrash?

Aber: Es ist ziemlich fies zu behaupten, dass Künstler gewissermaßen die Glücklichen unter den Arbeitslosen sind. Und noch zynischer ist es, zur Tagespolitik (Rente! Steuern!! Maastricht!!!) einfach das passende Feuilleton runterzuschreiben, nach Art des Salonorchesters, das auf der untergehenden Titanic zum letzten Tanz aufspielt.

Aber wir Kulturmenschen sind ja auch für den Widerspruch zuständig: für den zwischen realer und gefühlter Baisse zum Beispiel. Schneiden Sie neuerdings auch die Tube auf, um den letzten Rest Zahnpasta bloß nicht zu vergeuden? In diesem Fall empfehlen wir nicht Dostojewski, sondern die Holländer: Die haben zu diesem Zweck längst einen Tubenschaber erfunden. Wenn das keine Kunst ist.

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